Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
aber sie rissen nicht. Man schleppte ihn zur Mauer; er fühlte die verhängnißvolle Schlinge um den Hals, und sein Blick fiel auf den Waldkönig, der zwar jetzt den Arm zurückgezogen hatte, sonst aber noch in der vorigen Haltung im Hintergrunde stand.
»Hilf mir – rett’ mich!« rief er. »Warum bist’ der König, wenn Du net begnad’gen darfst!«
»Das darf ich schon, wenn ich will!« klang es zurück. »Aber wer mich fangen will, für den gibt’s keine Gnad’!«
»Ich will Dich net fangen, ich werd’ mich um Dich net bekümmern; ich will so thun, als ob Du gar net vorhand’n seist!«
»Das gilt nix! Wenn Du los sein willst, so mußt’ einen bessern Preis bezahl’n!«
»Welch’n?«
»Dich selber.«
»Wie meinst’ dies?«
»Tritt ein in die Gesellschaft!«
»Als Pascher? Nimmermehr!«
»Net als Pascher, sondern als Schutz. Du trittst in meinen Dienst und schaffst mir Kund’ von meinen Feind’n.«
»Also Spion!«
»Nimm’s, wie Du willst!«
»Das thu’ ich net!«
»Gut, hängt ihn auf!«
»Gnade! Gebt mir Bedenkzeit!«
Der König schien nachzudenken.
»Sollst sie hab’n,« entschied er dann; »aber morg’n um diese Zeit hängst’ entweder oder bist unser Kam’rad. Fort mit ihm!«
Er wurde wieder in sein Gefängniß geführt. Man gab ihm die Hände und Füße frei, befestigte ihn aber mittelst einer Kette an die Mauer. Den Inhalt seiner Taschen hatte man ihm schon vorher genommen. Nachdem für Wasser und Brod gesorgt worden war, schloß sich die Thür hinter ihm. Er blieb zurück, und zwar mit ganz andern Gefühlen als diejenigen waren, mit denen er seinen heutigen Gang angetreten hatte. –
V.
Herzenskampf
Noch ehe es völlig dunkel war, hatte sich Frieder wieder hinauf zur Zeche begeben. Er trug ein ziemlich umfangreiches Paket bei sich, welches mehrere vollständig neue und sehr lange Leinen enthielt. Sie waren schwach, um nicht viel Raum wegzunehmen, aber er hatte sie erprobt und wußte, daß sie ihn halten würden.
Nach reiflicher Ueberlegung war er zu der Ansicht gekommen, daß er, um das Geheimniß des Waldkönigs vollständig aufzudecken, auf der Zeche einfahren müsse. In die Brunnenstube des Feldhofes zu gelangen, war ihm unmöglich, und das Eindringen durch den Einsturztrichter konnte kaum zu einem weiteren Resultate führen. Zwar begab er sich jedenfalls in eine Gefahr, die um so größer war, als er sie noch nicht kannte und sie von mehreren Seiten auf ihn lauerte; aber das Glück war ihm bisher so hold gewesen, daß er auch jetzt sein Vertrauen festhielt.
Mit einer kleinen Handsäge, die er mitgenommen hatte, schnitt er sich einige harte Stämmchen im Busche und lehnte sie unter den Laden der Zechenscheune. Nachdem er diesen geöffnet hatte und eingestiegen war, zog er sie in das Innere, legte sie quer über einander und verband sie an ihrem Berührungspunkte mit einem festen Stricke. Dann zog er einen Haken mit einer Rolle daran hervor, den er daran befestigte, und befand sich nun im Besitze einer Vorrichtung, die ihm mittelst der Leinen die Einfahrt ermöglichen mußte. Das Seil, dessen sich heut der Feldbauer zur Bergung seines Paschgutes bedient hatte, reichte nur einmal hinab und war für Frieder also unbrauchbar; doch hatte sich dieser die ungefähre Länge desselben gemerkt, um sie als Maßstab für seine Leinen zu nehmen.
Diese waren an ihren Enden so verbunden, daß die Verbindungsstellen ohne Stocken über die Rolle des Globen lausen konnten, die Anwendung einer Vorsicht, welche nicht verabsäumt werden durfte.
Er verschloß den Laden wieder, entfernte die Bretter von dem Mundloche, legte die Stämme darüber und schob die Leine über die Rolle. Dann zog er eine kleine Blendlaterne hervor, zündete sie an und befestigte sie über der Brust.
»Glück auf!« murmelte er, sich selbst ermunternd, und trat in die Schlinge, welche er sich für den Fuß zurechtgelegt hatte. Nicht blos die Finsterniß, nein, auch der Tod war es, der unter ihm lauerte. Die gähnende Tiefe grinste ihm entgegen wie der Schlund eines ungeheuren Geschützes, welches in jedem Moment ihm ein sicheres Verderben entgegenspeien konnte. Der kleinste Zufall konnte Unheil bringen, doch der muthige Jüngling schüttelte alle ängstlichen Gedanken von sich ab, griff ruhig Fuß um Fuß der Leine ab und fühlte, als er deren Ende noch nicht erreicht hatte, den festen Boden unter sich.
Er sah sich um. Nicht weit von ihm führte ein zweites Mundloch abermals zur Tiefe; es war unbedeckt; und
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