Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
Hülf’ von uns erhalt’n!«
»Ich hab keinen Vater mehr!«
»Wie meinst’ das? Was weißt von ihm?«
»Alles, Alles weiß ich! O, meine liebe, gute Mutter, das wirst’ nimmer überwind’n, das kannst net verschmerz’n, daran wirst’ untergehn und sterb’n, Du und auch ich!«
Der Gedanke an die Mutter gab dem erstarrenden Pulse neues Leben; sie brach in ein herzerschütterndes Schluchzen aus. Die Bäuerin ließ sich an ihrer Seite nieder und zog das konvulsivisch bebende Köpfchen liebevoll an sich.
»Wein’ net, Marthe, sondern erzähl’ uns Dein Leid. Du sollst nie und nimmer von uns verlassen sein!«
»O nein, ich kann’s net erzähl’n! Ihr würdet mich hass’n und mich von Euch jag’n, und das, ja, das wär mir noch schlimmer als das Andre!«
»Dich hass’n und Dich fortjag’n, Marthe? Was denkst von uns! Frag den Mann und frag den Frieder, ob die an so ‘was denk’n!«
»Hier nimm die Hand,« meinte mit gütiger Stimme der Bauer; »ich reich sie Dir hin als Stütz’ und Hülf’ in jeder Noth. Nur mußt’ sie sag’n, damit ich weiß, wie ich Dir beispringen kann!«
»Und hier ist auch meine Hand, Martha,« fügte Frieder hinzu. »Ich hab’ sie noch nie den Unwürd’gen gereicht, und Du kannst Dich in aller Noth auf sie verlass’n. Drum sag’, warum hast’ keinen Vater mehr?«
»Du weißt’s ja auch!«
»Ich weiß net, ob Du das Richt’ge meinst.«
»Es ist das Richt’ge, Frieder, und – ja, ich will’s sag’n; es muß doch einmal heraus, und je eher, desto besser ist’s! Wißt Ihr, Bachbauer, wer der Waldkönig ist?«
»Nein, der Frieder hat mir’s bisher net sag’n woll’n.«
»Er hat’s verschwieg’n blos um meinetwill’n. Mein Vater ist’s!«
»Dein – Vater ist’s? Der Feldbauer!«
Der Blinde ließ ihre Hand, die er in der seinen hielt, fallen und trat einige Schritte zurück. Ueber sein entstelltes Angesicht zuckte es wie eine plötzliche Erkenntniß; seine Augen schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen, seine Zähne bissen sich fest auf einander; sein Fuß erhob sich, und seine Ellbogen warfen sich empor, als wolle er sich auf Den stürzen, von dessen Geheimniß so plötzlich der Schleier gerissen war.
»Ja, mein Vater, der Feldbauer! Net wahr, nun bin ich Euch verhaßt und verachtet und muß geh’n?«
»Der – der – der also!« knirschte es zwischen den Lippen des Gefragten hervor. »Ich hab’ mirs so oft gedacht und konnt’ mir den Waldkönig gar net anders denk’n als in seiner Gestalt. Also hat er mir den Sohn gemordet, er hat mir das Aug’ geraubt, er ist der Satan gewes’n für das ganz’ Gebirg und hat Verderb’n gebracht über so viel ehrliche Leut’, die sich net von ihm verlocken ließ’n! Frieder, ist’s wahr? Ist’s kein Andrer?«
»Er ist’s, Vater!«
»So sei er verflucht, taus’ndmal, millionenmal! Die Erd’ kann ihn net länger trag’n, und der Himmel mag ihn nimmer hab’n; hinunter in die Höll’ mit ihm! Frieder, komm’, reich’ mir die Hand! Ich muß hinaus zum Feldhof, hinaus zu ihm, ich muß ihn zermalmen, zerdrück’n, fort, fort, ich halt’s hier nimmer aus!«
Er streckte die Hand aus nach dem Sohne; sie wurde von einer anderen, kleineren erfaßt.
»Bachbauer!«
Die Arme Martha’s umklammerten ihn, als könne sie dadurch das drohende Unheil von ihrem Heim abwenden.
»Was soll’s? Will’st ihn vielleicht errett’n? Hab ich net vorhin gesagt, daß keine Macht, kein Reichthum und keine Bitt’ ihm helf’n soll? Er ist mein erster und mein letzter Gedank’ bei Tag und Nacht; er hat mir mehr geraubt als Ihr wißt und versteht: meine Seel’, mein Gemüth, meine Ruh’, meinen Fried’n, mein Glück, meinen Hof, meine Welt mit Allem, was darinnen ist, und auch Euch selber. Es ist finster um mich und in mir; ich kann nix seh’n mit dem Aug’ des Leibes und kann nix seh’n mit dem Aug’ des Geistes. Was ich gekannt, ich hab’s vergess’n und verlor’n, und kein einzig Bild ist mir von Euch geblieb’n. Sagt, giebt’s größern Raub auf der Erd’? Giebt’s eine Straf’, die groß genug ist dafür?«
Da trat die Bäurin zu ihm und nahm ihn bei der Hand. Sie kannte die Macht, die ihre Stimme über ihn hatte.
»Komm, Vater, setz’ Dich nieder! Der erst’ Gedank’ ist net immer der best’. Laß den Frieder erzähl’n und die Martha, dann woll’n wir seh’n, was Du thust!«
»Ja, erzähl’, Frieder; heraus damit; ich brenn’ vor Begierd’, zu wiss’n, wie Du hinter seine
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