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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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wohl kaum!«
    »Das thut nichts; ich singe sie
prima vista.
«
    Das war ein Kunstausdruck, den der gute Mann kaum selbst einmal gehört hatte und der ihn mit Respekt erfüllte. Er kramte in allerlei Schriften herum und brachte endlich einige Notenblätter zum Vorschein.
    »Hier sind die Stimmen. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?«
    Sie that es und lächelte siegesgewiß.
    »Hören Sie einmal!«
    Sie begann zu singen. Der Direktor horchte überrascht auf, als er diese glockenreinen, festen und doch so einschmeichelnden Töne vernahm. Solch eine Stimme hatte er noch niemals gehört, und von Vers zu Vers wuchs seine Bewunderung. Als das Mädchen endete, schlug er enthusiastisch die Hände zusammen.
    »Fräulein, Sie haben ein Fürstenthum, ein Königreich in Ihrer Kehle, und es ist wahrhaft jammerschade, daß diese seltene Gabe hier in diesem Erdenwinkel verkümmern soll. Widmen Sie sich der Kunst, und ich stehe Ihnen dafür, daß Sie Gold und Pretiosen die Hülle und Fülle haben und Grafen, Generale und Minister zu Ihren Füßen sehen werden! Wollen Sie den Vortrag übernehmen?«
    »Ja,« antwortete sie leise. Es schwindelte ihr.
    »So werde ich dafür sorgen, daß niemand etwas merkt. Sie gehen zeitig in die Vorstellung und zwar gleich hinter die Coulissen, die Sie erst wieder verlassen, wenn das Publikum sich vollständig entfernt hat.«
    So geschah es. Die Darstellerin gestikulierte so gut, daß die guten Bauern wirklich meinten, der Gesang sei ein Produkt ihrer Kehle. Auch Heiner befand sich unter ihnen. Er war der Einzige, welcher nicht in den stürmischen Applaus einfiel, vielmehr hatte sich seine Miene von Strophe zu Strophe verfinstert.
    »Hast’s gehört, Heiner?« frug sein Vater, welcher neben ihm saß. »Die hat aane Stimm’ grad wie die Alwin’, die sich schön wundern thät, wenn sie heut zugeg’n wär.«
    »Sie ist zugeg’n, aber wundern thut sie sich net.«
    »Zugeg’n? Ich seh doch nix von ihr!«
    »Aber gehört hast’ sie. Sie steckt hinter der Scen’ und hat das Lied gesungen.«
    »Wa–wa–was? Die Alwin’? Ich denk’, die Spielerin ist’s gewes’n. Sie hat doch den Mund auf-und zugeklappt und grad so gethan als ob sie singt.«
    »Sie hat vielleicht kaane Stimm’, und da ist die Alwin’ für sie eingetret’n.«
    »Wenn das wahr ist, so hört nun All’s und Verschiedenes auf! Läßt sich das Madel vom Kukuk verblend’n und singt gar schon im Theater. Die kann’s noch weit bringen in der Welt. Heiner, Heiner! Und Du vertrittst ihr immer noch die Brück’!«
    Heiner antwortete nicht. Er sprach überhaupt kein Wort mehr, ging nach der Vorstellung schweigsam nach Hause und stieg ebenso schweigsam hinauf in seine Kammer. Dort setzte er, statt zur Ruhe zu gehen, sich an den kleinen Tisch und starrte, in trübe Ahnungen und Gedanken versunken, vor sich hin. Dann tauchte er die Feder ein, und Zeile um Zeile floß es auf das Papier:
    »O gräme nie ein Menschenherz,
    Das Dein in treuer Liebe denkt;
    Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz,
    Der sich in seine Tiefen senkt!
    O mach, daß keine Thränenfluth
    Um Deinetwillen sich ergießt,
    Die Thräne ist des Herzens Blut,
    Mit dem das Leben auch entfließt.
    Drum sorge, daß kein Herzeleid
    Du jemals hier verschulden magst,
    Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,
    Wo Du die schwere Schuld beklagst!«
     
    Er steckte die Verse zu sich, und als er vernahm, daß der Vater sich schlafen legte, blies er das Licht aus und stieg leise und vorsichtig die Treppe wieder hinab. Die Hausthür unhörbar öffnend und wieder verschließend, blickte er sich um, ob er unbeobachtet sei; dann huschte er über die Straße hinüber in den Schulgarten, wo er in der Laube Platz nahm.
    Gerade als er über die Straße schlüpfte, kam eine andre Gestalt langs des Zaunes herbeigeschlichen und duckte sich bei seinem Anblicke schnell in das Dunkel der Umfassung nieder. Es war Balzer.
    »Das ist der Heiner,« flüsterte er, »der in den Gart’n geht. Endlich bin ich seinem Schlich auf der Spur. Rasch ihm nach, damit ich den Ort entdeck’, an dem er sich verbirgt!«
    Im Nu war er über den Zaun hinüber und kam gerade recht, Heiner in seinem Schlupfwinkel verschwinden zu sehen.
    »Schau, in die Laub’ also geht er! Und da hat er auch gesteckt damals, als ich vom Kirmeßtanz herkam. Jetzt muß ich nun noch wart’n, ob die Alwin’ kommt!«
    Seine Geduld wurde auf keine zu lange Prbe gestellt. Sie kam und frug, sich zum Eingang niederneigend:

    »Bist’ da,

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