Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
zu verfolgen, nur der zuerst angekommene Offizier, in welchem wir den ehemaligen Schmiedegesellen erkennen, drängte seinen Fuchs zwischen die Reservepferde der Sachsen und saß mit einem kühnen Sprunge auf dem Rapphengste, welchen der Junker vorhin noch als unbrauchbar bezeichnet hatte. Mit lautem, freudigem Wiehern erhob sich das Thier auf die Hinterbeine, drehte sich im Kreise herum und schoß dann mit seinem Reiter davon.
»Herr Kamerad, Euern Degen! Ich übernehme an Stelle des soeben abgerittenen Herrn Oberstwachtmeisters die Verpflichtung, Euch von der Vergeblichkeit jeden Widerstandes zu überzeugen.«
»Sehr wohl, Herr Major! Die Chancen des Tages sind gegen uns und wir ergeben uns in der Erwartung, daß man in dieser Handlungsweise nichts finden werde, was unserer Offiziersehre Abbruch thun könnte.«
»Bewahre. Laßt Eure Leute absitzen und die Waffen ablegen. Lieutenant Rhaden, Ihr reitet mit einem Dutzend Eurer Leute schleunigst dem Herrn Oberstwachtmeister nach, um seinen Gefangenen entgegen zu nehmen. Wen haben wir da in der Equipage? Ah, Franz, sind das vielleicht die beiden Damen, von denen uns so viel Gutes erzählt worden ist?«
»Zu Befehl, Herr Major!« antwortete der alte Forstwart, der hoch zu Roß bei den Wagen hielt. »Ich fand sie sofort bei unserer Ankunft hier und hörte von ihnen, daß der Junker sie angeblich als Geißeln für den Goldschmidt – wollte sagen für den Herrn Oberstwachtmeister mitgenommen habe.«
»Ach so, eine neue Infamie! Meine Damen, Ihr befindet Euch natürlich, wie die anderen Gefangenen alle auch, jetzt wieder im Besitze der vollsten Freiheit. Du, Franz, setzest Dich auf und fährst sie in ihre Wohnung zurück.«
Mit einem höflichen Salut nahm er Abschied von den geängstigten Frauen, und, nachdem Kutsche und Sauvegarde den übrigen Kriegsgefangenen zugesellt waren, fuhren die Wagen zur Schmiede zurück. Mit lautem Jubel wurden die Insassen von den Meistersleuten begrüßt.
»Gott sei Dank, daß Ihr wieder da seid! Na, steigt nur hinauf in Eure Stube, es erwartet Euch Besuch oben.«
»Wer denn?«
»Ein Offizier oder so etwas.«
Sie gingen hinauf. Die Mutter öffnete die Thür und richtete den Blick auf den Mann, welcher am Fenster stand. Die hohe, stolze Gestalt wurde vortheilhaft durch die Uniform und glänzende Auszeichnung eines Stabsarztes hervorgehoben; die Wellen des langen, blonden Vollbartes schmiegten sich weich an die goldenen Tressen des Waffenrockes, und die Augen, tiefblau und freundlich, begrüßten mit erwartungsvollem Leuchten die Eintretenden.
»Emil!«
»Anna!«
Beide stießen den Ruf zugleich aus, Beide hatten sich trotz der langen Zeit der Trennung sofort erkannt und flogen einander in die Arme. Mit voller Kraft hielten sie sich umschlungen, hingen Lippe an Lippe und vergaßen im Entzücken des Wiedersehens die Tochter, welche, von ihren Gefühlen übermannt, an der Thür lehnte. Lange, lange wartete sie, daß man sich auch ihrer erinnern werde, aber vergebens. Da klang es leise:
»Vater!«
»Mein Kind, mein liebes, liebes Mädchen! Laß mich, Anna!«
Er stürzte auf Auguste zu und nahm sie in die Arme. Die Mutter folgte und legte die Hände auf das Haupt des Kindes.
»Nimm sie hin, Emil! Sie ist das Einzige, was ich besitze und Dir bieten kann, aber es ist das Kostbarste, was Dir mein Mutterherz aufbewahrt hat.«
Er entgegnete kein Wort, aber Kuß auf Kuß nahm er von dem schönen, unentweihten Munde, welchen noch nie die Lippe eines Mannes berührt hatte. Der Vater vermochte vor Seligkeit nicht zu sprechen, aber der Arzt machte sich endlich doch geltend.
»Bitte, Anna, verhänge das Fenster wieder.«
»Vater, nicht wahr, Du bist der Arzt, der kürzlich hier war?«
»Ja, mein Kind. Hast Du heut viel Erschrecken gehabt?«
»Nein. Goldschmidt bat mich, stark zu sein, und was er bittet, das muß ich gewähren.«
»Du hast ihn lieb?«
»Ja, unendlich lieb, mein Vater.«
»Ich danke Dir. Diese Liebe ist einer meiner höchsten Wünsche. Fühlst Du etwas Fremdes, Störendes, Krankhaftes in Deinem Auge?«
»Nein, ich habe das Gefühl des Wohlbefindens darin.«
»Dann wollen wir mit Gott die Binde entfernen.«
Er nahm sie ab. Noch hielt das Mädchen die Lider geschlossen, dann hob sie dieselben langsam und zagend und richtete den ersten Blick auf die Mutter.
»Mutter, ich sehe Dich!« rief sie und freudig setzte sie unter heißer Umarmung hinzu: »noch viel besser und deutlicher als früher.«
Dann wandte sie sich zum
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