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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Hast, strich die Falten aus und las dann die wenigen Bleistiftzeilen, denen man ansah, daß sie mit unsicherer Hand und beim Mondesscheine geschrieben worden seien. Dann legte er mit triumphirender Miene das Papier wieder zusammen und steckte es zu sich.
    »Ist es das rechte, Hermann?« frug das Mädchen. »Ja, ich sehe Dir es an!«
    »Freilich ist es das richtige und ich glaube, der ›Samiel‹ hat sich damit gefangen. O, er ist ein gar kluger und durchtriebener Bursche! Ich habe ihn mehr kennen gelernt als mir lieb gewesen ist! Aber es ist kein Kopf so schlau und fein, daß er nicht auch einmal eine Unvorsichtigkeit begeht. Das Papier, das nehme ich mit!«
    Sie blickte halb freudig, halb besorgt zu ihm empor.
    »Ist es wahr, daß Du ihn fassen kannst?«
    »Fast ganz gewiß!«
    »Aber die Gefahr, welche dabei ist! Willst Du das Wagniß allein unternehmen?«
    »Das ist noch unbestimmt und muß sich erst zeigen. Aber schau mich doch an, Paule! Denkst Du wirklich, daß ich mich vor Jemandem zu fürchten brauche?« Er stellte sich vor sie hin und reckte seine kräftige Gestalt mit zuversichtlichem Lächeln empor. »Oder hast Du jemals vernommen, daß mich irgend Jemand bezwungen und geworfen hat?«
    Sie schüttelte ebenfalls lächelnd den Kopf.
    »O nein; Du warst ja stets bekannt als der Schnellste und auch Stärkste hier im Dorfe; aber der ›Samiel‹ ist doch jedenfalls kein gewöhnlicher Gegner. Sag’, wer es ist, Hermann?«
    »Das kann ich nicht, Paule! Bis jetzt vermuthe ich es nur; sobald ich es gewiß weiß, bist Du die Erste, die es erfährt. Jetzt nun gehe ich; aber ich glaube, Du wirst bald wieder von mir hören. Leb wohl!«
    »Leb wohl, Hermann! Ich danke Dir gar sehr für den Trost, welchen Du mir gegeben hast; aber bitte, nimm Dich ja recht gut in Acht, damit Du nicht zu Schaden kommst. Sag lieber dem Vater, was Du thun willst, der wird Dir ja beistehen müssen!«
    »Ich will mir es überlegen!«
    Er schritt eilends über die Waldblöße und schlug dann den Weg ein, welcher von dem Forsthause nach dem Dorfe führte. Allmählig aber wurden seine Schritte langsamer, das Nachdenken minderte ihre Schnelligkeit. Auch in der Ferne schon hatte er von dem ›Samiel‹ gehört, doch war das, was man sich erzählte, mehr ein Märchen als ein wahrheitstreuer Bericht gewesen. Was er jetzt von Pauline vernommen hatte, war dagegen nur zu sehr geeignet, sein lebhaftes Interesse zu erregen. Die Vermutungen, welche die ungewöhnliche Ortskenntniß und Schußsicherheit des Wilderers in ihm erregt hatten, waren durch die Schriftzüge vollständig bestätigt worden. Er kannte diese verzogenen, wirren Buchstabenreihen; sie waren ein deutliches Charakterbild des Schreibers. Wie oft hatte er ähnliche Zeilen in der Hand gehabt, auf’s Papier geworfen in Feld oder Wald; wie oft hatten sie ihn mit Seligkeit erfüllt, wie oft ihn in das tiefste Leid geschleudert; wie oft hatten sie seine festesten Vorsätze wankend gemacht und ihn immer wieder hinausgezogen in den Forst!
    An einem der letzten Bäume lehnte eine weibliche Gestalt, welche bei seinem Nahen sich vom Stamme löste und auf ihn zutrat. Es war die schöne Wiesenbäuerin, die hier offenbar auf ihn gewartet hatte.
    »Da bist Du ja endlich wieder! Hast Du meinen Brief erhalten, Hermann?«
    »Erhalten habe ich ihn, ja, aber aufgemacht und gelesen nicht. Ich wollte die Annahme nicht verweigern, weil er sonst erbrochen worden wäre, und das mochte ich Dir doch nicht anthun. Lieber bringe ich ihn selber zurück. Hier hast Du ihn!«
    Ihr großes, dunkles Auge flammte zornig auf; mit einer kurzen Bewegung des Kopfes warf sie die reichen rabenschwarzen Locken nach hinten und trat ihm rasch um einen Schritt näher.
    »Was?! Empfangen hast Du ihn, aber gelesen nicht – den Brief von mir, von der Wiesenbäuerin nicht gelesen? Und warum denn nicht, wenn ich fragen darf? Wohl wegen der Dirne dort, mit der Du schön und zärtlich gethan hast fast eine ganze Stunde lang? Ich habe es gar wohl gesehen; ich stand am Busch und sah Dich zu ihr schleichen!«
    »Das ist mir recht, denn da hast Du gleich die Antwort gesehen auf das, was hier in Deinem Briefe jedenfalls zu lesen steht. Aber nimm ihn endlich hin, sonst muß ich Dir ihn zuschicken.«
    »So willst Du wirklich gar nichts von mir wissen?«
    »Nichts, gar nichts, selbst nicht das Geringste von dem, was man vom Nagel herunterschabt. Ich brauche es Dir gar nicht mehr zu sagen, Du hast es schon hundertmal gehört.«
    »So gib her!«

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