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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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meinte der junge Tannenbauer, indem er sein Gespann beruhigte und dann die unterbrochene Fahrt fortsetzte. »Es mag ihm nur net schlimmer kommen!«
    Es waren die letzten Getreideschütten, welche er zu holen hatte; die Arbeit des Aufladens war bald gethan, und er übergab das Fuhrwerk dem Knechte.
    »Fahr’ Du das Fuder heim! Es ist net hoch und wird Dir kaane Mühe mach’n. Ich geh’ derweil’ aan bischen hier den Bach entlang und komm’ schon noch zur recht’n Zeit nach Haus’. Es ist ja heut’ Sonntag!«
    Wie sein Oheim heute am Vormittage, so fühlte auch er jetzt infolge der inneren Aufregung das Bedürfniß nach Einsamkeit, und einsamer gab es in der ganzen Gegend keinen Ort als denjenigen, nach welchem er seine Schritte lenkte.
    In den Höhenzug, welcher das Thal, auf dessen Sohle das Dorf sich streckte, abschloß, schnitt eine enge Schlucht ein, deren hinterer Theil sich erweiterte und einen felsigen Kessel bildete, dem durch den Abbau von Bruchsteinen das ursprüngliche grüne Pflanzenkleid verloren gegangen war. Fast senkrecht stiegen die hohen, nackten Felsenwände empor, hier und da eine scharfe Spitze hervorschiebend; kein Strauch, kein Bäumchen ließ sich blicken, nur selten spitzte ein dünner Grasbüschel aus einer schmalen Ritze hervor, und nur da, wo ungefähr in der halben Höhe der Wand vor Zeiten eine höhlenartige Vertiefung in das Gestein gesprengt worden war, hatte sich am unteren Rande derselben allerlei Dorngestrüpp und herbeigewehtes Laubwerk angesammelt. Hoch oben an der äußersten Kante des Kessels trat eine balconartige Hervorschiebung aus dem Felsen heraus, welche mit einer hölzernen Barrière versehen war. Diese Stelle wurde an Sonn-und arbeitsfreien Tagen von den Dörflern gern besucht, da sie durch die Schluchtöffnung hindurch einen weiten Ausblick in das Land hinaus eröffnete.
    Dieser einsame Kessel führte in der Umgegend den Namen »Felsenbruch« und war für nächtliche Verirrte eine gefährliche Stelle, da er, ringsum von Hochwald umgeben, ganz unvorbereitet plötzlich und beinahe lothrecht hinunter in das Thal fiel und Jedem, der im Finstern den Schritt über seinen Rand hinaus leitete, Tod und Verderben bringen mußte.
    So gern man den dunkeln Forstweg betrat, welcher zu der »Kanzel« führte, wie der Balcon genannt wurde, der Grund des Felsenbruches wurde nur wenig betreten; es knüpfte sich an ihn die Erinnerung an ein grausiges Verbrechen, welches vor Jahren hier verübt worden war und von dem man noch heute mehr und öfterer im Dorfe erzählte, als es bei der seitdem verflossenen Zeit zu vermuthen war.
    Aus einer kleinen Oeffnung des sonst festgeschlossenen Gesteines floß ein klarer Quell hervor, dessen leise murmelnden Wellen sich erst durch allerlei Bruchgeröll einen vielgekrümmten Weg suchten und dann die Schlucht entlang den Ausgang in das von ihnen befeuchtete Thal fanden.
    Seinem Ufer entlang schritt jetzt Gustav langsam dahin. Er hatte keine dringende Arbeit vor und konnte sich die Kühlung gönnen, welche ein Gang an dem von Büschen bestandenen Bache nach dem heißen Tage gewährte. Nur mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er weder auf Zeit noch Ort und war darum beinahe verwundert, als er, unwillkürlich aufblickend, die Bemerkung machte, daß er die Schlucht passirt habe und bereits am Eingange zum Bruche stehe. Es gab für ihn allen Grund, diesen Ort zu meiden, und er hatte ihn darum auch seit Jahren nicht betreten; heute aber trieb es ihn vorwärts nach der Stelle, auf welche der Ursprung so mancher bitteren Erfahrung zurückzuführen war.
    Gerade unter der Kanzel und nur wenige Schritte von der Felsenwand entfernt, stand ein hölzernes Kreuz mit einer Inschrift auf dem Querbalken, deren Leserlichkeit unter dem Einflusse von Regen und Wetter sehr gelitten hatte. Sie lautete: »Hier starb am 10. September 1845 der wohlachtbare David Friedrich Heinemann eines gewaltsamen Todes. Er war 26 Jahre alt und wurde meuchlings von der Kanzel herabgestoßen von –«. Ueber den boshaften Gedankenstrich hatte eine übelwollende Hand mit Bleistift die zwei Worte »dem Teufelsbauer« gesetzt, und hinter ihnen folgte die Bemerkung: »Zur Erinnerung an den Mörder errichtet von Andreas Heinemann.«
    An dem Kreuze lehnte eine Mädchengestalt, welche von Gustav erst bemerkt wurde, als er um ein herabgestürztes Felsstück trat, dessen zerborstene Masse sich gerade vor das Erinnerungszeichen gelegt hatte. Er wäre gern zurückgewichen, aber es war zu spät

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