Die Rosen von Montevideo
starrte er stundenlang auf den Sternenhimmel und konnte kein Auge zutun.
Wohin führt das alles nur?, dachte er.
Es hatte wie ein großes Abenteuer geklungen, als Pablo vor einigen Wochen vorgeschlagen hatte, Waffen aus Uruguay zu stehlen. Gewiss, dieses Unternehmen war lebensgefährlich, aber nach dem Grauen der letzten Jahre war ihm alles lieber, als zu kämpfen und Männer zu ermorden. Wie hätte er auch ahnen können, dass er am Ende dabei mitmachen musste, ein unschuldiges Mädchen zu entführen?
Seine Gedanken wurden immer schwerer, seine Lider gottlob auch. Irgendwann sank er in einen unruhigen Schlaf.
Am nächsten Morgen stand er als Erster auf, um Matetee anzusetzen und die Pferde feucht abzureiben. Wie so oft waren sie in der Früh blutüberströmt, waren sie doch in der Nacht von Fledermäusen angegriffen worden. Die anderen schliefen noch, aber Valeria war von den Geräuschen erwacht, rieb sich erst schlaftrunken die Augen und beobachtete ihn dann. Die blauen Flecken waren noch mehr verblasst. Keine Verachtung stand mehr in ihrem Blick – nur die flehentliche Bitte: Lass mich frei!
Valentín wandte sich rasch ab und fühlte sich unwohler als je zuvor. Nie hatte er jede Regung ihres Körpers so deutlich gespürt wie in den kommenden Stunden. Seit Pablo sie fast totgeschlagen hatte, ritt sie nicht mehr auf dessen Pferd, sondern auf seinem. Und während er bisher hartnäckig ignoriert hatte, wie zart ihr Leib war, wie weich ihre Haut, setzte ihm heute jede Berührung zu. Obwohl ein scharfer Wind wehte, wurde ihm immer heißer. Wäre er allein unterwegs gewesen, er hätte sich hoffnungslos verirrt, da er keinen Kopf mehr für die Umgebung hatte.
Als Pablo plötzlich verkündete, dass die Grenze nach Argentinien nicht mehr weit war, sie von dort bald wieder heimatlichen Boden betreten würden, und er laut von Paraguay zu schwärmen begann, konnte er sich nicht einmal richtig freuen.
Valeria hingegen verkrampfte sich.
»Verfluchtes Land!«, zischte sie.
Die anderen hatten sie nicht gehört – Valentín aber nur zu deutlich. Erst kniff er die Lippen zusammen, weil es ihm ratsamer schien, sie zu missachten, doch schließlich platzte die Frage aus ihm heraus: »Warum ist das Land verflucht?«
Valeria drehte ihren Kopf etwas zu ihm um. »Nun, es wird von einem Teufel regiert«, erklärte sie trotzig.
»Und das bedeutet, dass das ganze Land verflucht ist?«
»Dann leugnest du es also nicht, dass euer Diktator Francisco Lopez ein Teufel ist?«
Er ahnte, dass es besser wäre, sich nicht auf ein Streitgespräch einzulassen, aber mit ihr zu reden, schien erträglicher, als schweigend zu reiten und bei jedem Schritt des Pferdes nur allzu deutlich ihren Körper zu spüren.
»Selbst wenn er es wäre«, erwiderte er, »ihm allein ist dieser Krieg ganz gewiss nicht anzulasten.«
»Wem dann?«, begehrte sie auf. »Mein Großvater hat gesagt, er sei größenwahnsinnig. Ginge es nach ihm, sollte Paraguay das bedeutendste und mächtigste Land von ganz Südamerika werden, dem sich alle anderen La-Plata-Länder unterwerfen. Er würde dann Präsident werden, nein, mehr noch, ein Herrscher vom Status des französischen Kaisers.«
Wieder konnte er nicht widersprechen – jedoch etwas hinzufügen: »Du darfst nicht vergessen, dass Francisco Lopez auch viel für sein Volk tut. Er will eine Bibliothek bauen, eine Oper und ein Theater, gepflasterte Avenuen, Parks mit hohen Bäumen …«
Sie schien ihm gar nicht recht zuzuhören, ihre Miene wurde immer finsterer. »Mein Großvater sagt, dass sich Lopez und seine Familie wie Monarchen benehmen!«
»Na und?«, gab Valentín zurück. »So schlimm kann es unser Volk mit ihm als Herrscher nicht getroffen haben – wäre Paraguay vor dem Krieg sonst das reichste Land dieses Kontinents gewesen und seine Bevölkerung regelrecht überhäuft von den Gaben des Wohlstands?«
Nun geriet Valeria ins Nachdenken. Verwirrt blickte sie ihn an.
Er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Was weißt du eigentlich über Paraguay, außer dass dort der Teufel regiert?«, fragte er spöttisch.
Beschämt senkte sie ihren Blick, offenbar, um nicht zuzugeben, dass sie wohl nichts weiter über das Land wusste als das, was andere ihr gesagt hatten, dass sie sich folglich nie selbst ein Bild gemacht und kritische Fragen gestellt hatte.
Eine Weile wollte es Valentín beim Schweigen belassen, doch ihre Vorwürfe waren ihm Stachel im Fleisch genug, um sich ausführlich zu rechtfertigen:
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