Die Rosen von Montevideo
erschauderte, als sie sich das vorstellte, und Luis legte ihr flüchtig seine Hand auf die Schulter. Ehe sie die Berührung genießen konnte, zog er sie schon wieder fort.
»Kannst du überhaupt reiten?«, fragte er skeptisch.
»Schwimmen kann ich etwas besser«, erwiderte sie.
Röte stieg in sein Gesicht. Offenbar erinnerte er sich an die erste Begegnung, doch er ging nur ohne ein weiteres Wort davon, um ein Pferd für sie zu organisieren.
Wenig später kehrte er wieder, jedoch nicht mit einem Tier, sondern in Begleitung eines Knaben.
»Soll ich etwa auf ihm reiten?«, fragte Claire spöttisch. Doch dann bemerkte sie Luis’ ernsten Gesichtsausdruck und betrachtete den Knaben genauer. Ein Schrei entfuhr ihr.
»Du hast Valeria gesehen!«
Der Knabe blieb stumm, Luis jedoch nickte. »Es scheint so zu sein. Ich habe heute Morgen noch einmal alle Gäste nach Valeria befragt – dieser Junge ist spätabends mit seinem Vater hier angekommen.«
Claire beugte sich zu ihm und packte ihn an den Schultern. »Wer bist du? Wo hast du sie gesehen?«
Der Knabe antwortete sehr zögerlich und einsilbig, und es dauerte Ewigkeiten, bis Claire die wichtigsten Informationen verstand. »Stammen aus dem Landesinneren … leben von der Schafzucht … sehr einsam, besonders in der Nacht … zwei Mal im Jahr geht’s nach Montevideo, um Wolle zu verkaufen.«
Das war nun offenbar der Fall.
»Doch vor eurem Aufbruch hast du Valeria gesehen!«, rief Claire aufgeregt.
Wieder dauerte es lange, bis der Knabe stammelnd antwortete: »Mein Vater schlief schon. Ich fand keine Ruhe … stand am Fenster.« Ein kurzes Zögern folgte, der Knabe sah Luis ratsuchend an, und erst als der aufmunternd nickte, berichtete er der immer ungeduldigeren Claire von der Frau im hellen Kleid, die sich dem Haus genähert hatte, im letzten Moment aber von einem Verfolger eingeholt und wieder verschleppt worden war.
»Gütiger Himmel!« Claire wurde heiß und kalt zugleich.
»Wir können nicht vollends sicher sein, dass es Valeria war«, warf Luis skeptisch ein.
»Wie viele Frauen sind wohl mit Männern im Landesinneren unterwegs?«
»Der Knabe hat nur einen Mann gesehen.«
»Aber er hat von einem hellen Kleid gesprochen! Und genau so eins trug Valeria in der Oper, ehe sie entführt wurde! O mein Gott, wir müssen sofort dorthin.«
»Das Ganze ist vor zwei Tagen passiert. Wenn es tatsächlich Valeria war, die der Knabe gesehen hat, haben sie die Männer längst von dort fortgebracht.«
»Trotzdem … es ist ein erster Anhaltspunkt.«
Endlich widersprach Luis nicht länger. »Ich werde Verstärkung anfordern und dorthin aufbrechen. Es wäre besser, wenn du einstweilen hierbliebest.«
Er senkte den Kopf, als rechnete er schon mit Widerstand, und tatsächlich begehrte Claire auf: »Ich denke gar nicht daran! Natürlich komme ich mit! Verschaffst du mir nun endlich ein Pferd?«
Luis seufzte, verkniff sich aber die Worte, die ihm offenbar auf den Lippen lagen, und ging schweigend fort.
Während er ein Pferd besorgte, bestürmte Claire den Knaben nach weiteren Details. Er verriet nichts, was sie nicht schon wusste, aber mit jedem seiner gestammelten Worte wuchs ihre Bestürzung.
Valeria schien so kurz davor gewesen zu sein, sich ins Gehöft zu retten – und war im letzten Augenblick gescheitert. Sie konnte nur hoffen, dass jene Ausgeburten der Hölle, mit denen sie unterwegs war, ihren Fluchtversuch nicht allzu streng bestraft hatten.
Valentín Lorente hatte Reisen eigentlich immer geliebt – tagsüber mit dem Pferd zu verschmelzen und den Wind im Gesicht zu spüren und abends am Lagerfeuer zu sitzen und in die knisternden Flammen zu starren. Als Kind war er oft mit seinem Vater und Pablo unterwegs gewesen, und auch wenn es manchmal hart war, dass der Vater von den Kindern gleiche Zähigkeit abverlangte wie von erwachsenen Männern – weder hatte er ihnen häufigere Pausen zugestanden noch ein weicheres Nachtlager –, so hatte er damals viel gelernt: über das Land, die Menschen – und über Pferde. So genügte es, abends die Madrina, die Leitstute, anzubinden, während die übrigen Pferde und Maulesel frei weiden durften, würden sich diese doch nie zu weit von ihr entfernen.
Und wie sehr er sich nach dem langen Ritt, der so hungrig machte, stets auf die erste richtige Mahlzeit des Tages gefreut hatte! Dann wurde ein Stück Braten aus frischem oder getrocknetem Fleisch mit einem Stock durchbohrt und über das Feuer gesteckt. Und
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