Die Rosen von Montevideo
während das Fleisch briet und das Fett zischend in die Flammen tropfte, wurde die Caldera, ein kleiner Wasserkessel, auf die Glut gesetzt, um Matetee zuzubereiten, der später herumgereicht wurde. Wenn Valentín dieses Gefäß entgegennahm, hatte er sich immer sehr erwachsen gefühlt. Zum Fleisch hatte es zwar kein Brot gegeben, aber Maiskuchen, den seine Mutter gebacken hatte, und obwohl der ohne Salz gemacht war und darum eigentlich fade schmeckte, konnte er sich kein köstlicheres Mahl vorstellen. Es gab kein besseres Gewürz als den Geschmack des Abenteuers.
Nun lag ihm das Essen stets wie ein Stein im Magen. Vielleicht war es auch gar nicht das Essen, sondern die schweren Gedanken, die ihn umtrieben. Als Kind hatten Pablo und er oft gestritten, und dass sie später gemeinsam in den Krieg gezogen waren, hatte es nicht besser gemacht, doch nie schien die Kluft so tief wie jetzt. Nie hatte Valentín auch gesehen, wie Pablo eine Frau geschlagen hatte.
Valerias Gesicht war am Tag nach ihrem Fluchtversuch geschwollen und blau verfärbt gewesen. Mittlerweile erinnerte zwar nur noch der etwas grünliche Ton der Haut an die Verletzung, und sie schien keine Schmerzen zu leiden, aber ihm entging nicht, wie erschöpft und verzagt sie war. Eben schlug sie wild nach den Moskitos um sich, die um ihrer aller Köpfe surrten. Seine eigene Haut war so gegerbt, dass er die Stiche kaum noch spürte – ihre jedoch so weich und dünn, dass das stete Jucken zur Qual wurde.
Valentín wartete ab, bis sie eine Rast einlegten, hockte sich dann zu ihr und bot ihr eine seiner Zigaretten an.
»Was soll ich damit?« Ihre Augen blickten wie so oft flehentlich auf ihn, doch ihre Stimme war kalt.
»Der Rauch vertreibt die Tiere«, erklärte er knapp.
Sie bedankte sich nicht, aber als er ihr Feuer gab, nahm sie einen Zug. Prompt bebten ihre Nasenflügel, und wenig später musste sie schrecklich husten.
»Ich hätte dich warnen müssen«, entschuldigte er sich, »In Paraguay lässt man die Tabakblätter länger am Stengel reifen, die Zigaretten sind darum viel stärker, als du sie gewohnt bist.«
Valeria kämpfte gegen den Husten an. Obwohl ihr Tränen in die Augen gestiegen waren, zog sie trotzig ein zweites Mal an der Zigarette. Wieder begann sie zu husten, doch sie schluckte beharrlich, und bald rauchte sie mit dem stoischen Gesichtsausdruck eines Mannes.
Die Moskitos quälten fortan die Pferde, nicht mehr sie, doch Valentín war nicht lange froh, dass er sie zumindest von diesem Ungemach befreit hatte.
Wäre ich ein ganzer Mann, dachte er, würde ich sie nicht bloß vor Insekten, sondern vor meinem Bruder schützen …
Aber wie sollte er sich ausgerechnet gegen den Mann stellen, der die Truppe zusammenhielt, der ihn im Krieg manches Mal vor dem Tod bewahrt hatte und der der Einzige war, mit dem er die Erinnerung an seine Familie teilte – und an das Leben vor dem Krieg?
Nach der kurzen Rast ritten sie weiter, und als sich die Nacht über das Land senkte, suchten sie sich eine kleine Baumgruppe, um ihr Lager aufzuschlagen. Valeria aß fast nichts – wahrscheinlich hatten ihr die Zigaretten den Appetit genommen – und er selbst kaum mehr, weil ihm das schlechte Gewissen ihr gegenüber die Kehle zuschnürte.
Wenigstens musste er nicht mehr lange die grünlichen Flecken in ihrem Gesicht mustern. Wie immer währte die Dämmerung nur kurz, schon verschluckte der schwarze Himmel die letzten mageren Sonnenstrahlen. Der Schein des Feuers reichte nicht weit, und er bereitete sich sein Nachtlager fast im Stockdunkeln. Wie immer legte er zuerst eine Ochsenhaut auf den Boden, die tagsüber den Proviant bedeckte, machte aus dem Sattel ein Kopfkissen und legte seinen Poncho ab, um ihn als Bettdecke zu nutzen. Er wollte sich schon hinlegen und zudecken, als er stutzte. In den letzten Tagen hatte er nicht darauf geachtet, wie sie schlief, doch nun sah er Valeria zitternd an einem Baum hocken. Tagsüber vermochte ihr zerrissenes Kleid sie kaum vor der Sonne zu schützen – und nachts nicht vor der Kälte. Er erhob sich, kniete sich zu ihr und reichte ihr den Poncho. Obwohl es finster war und er nicht in ihrer Miene lesen konnte, spürte er, dass sie sein Angebot am liebsten zurückgewiesen hätte.
»Nimm ihn!«, befahl er. »Du frierst sonst die ganze Nacht und kannst nicht schlafen, und dann wird morgen der Weiterritt zur Qual.«
Sie knurrte ein unwilliges Danke.
Während sie sich in den Poncho kuschelte und bald eingeschlafen war,
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