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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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ihrem ärgsten Feind nicht gewünscht, aber bei allem Üblen konnte sie sich keinen besseren Gefährten vorstellen.
    »Ich bin dir so dankbar«, murmelte sie und legte zaghaft ihre Hand auf seine.
    Sanfte Röte stieg ihm ins Gesicht. »Das ist doch selbstverständlich. Es ist meine Pflicht, dir zu helfen.«
    Sie studierte seine Miene genauer und hoffte so sehr, darin nicht nur Pflichtgefühl zu lesen, sondern tiefe Zuneigung zu ihr. Doch viel zu schnell wurde sein Blick ausdruckslos, und er zog seine Hand zurück.

19. Kapitel
    V alentín war verwirrt.
    Früher hatte er oft gegrübelt, doch nachdem er mit ansehen musste, wie seine Familie starb, und nur Pablo und er das Massaker überlebt hatten, fühlte er nur noch eine große Leere in sich. Er scheute Erinnerungen, verbat sich Sehnsüchte und sah in der Welt keinen Ort, über den man sich viele Gedanken machen musste, sondern wo es einzig bis zum nächsten Tag zu überleben galt. Besser, man setzte dabei auf Instinkte, nicht auf den Verstand, und falls dieser sich doch einschaltete, war die körperliche Erschöpfung ein gutes Mittel, geheime Zweifel und Wünsche zum Schweigen zu bringen. In den folgenden Monaten, da er an der Seite seines Bruders im Krieg gekämpft, Entbehrungen ertragen und seinen Körper immer mehr gestählt hatte, schien der sanfte, nachdenkliche Valentín, der gerne sang und las und seine Mutter zum Lächeln brachte, endgültig gestorben zu sein.
    Jetzt hatte er allerdings wieder viel zu grübeln. Nachdem er Valeria von seiner und Pablos Familie erzählt hatte, waren die Erinnerungen lebendig wie nie, und obwohl es ihm tagsüber gelang, sie abzuschütteln, kamen sie in den Träumen wieder. Er träumte auch von Valeria – Valeria, wie sie lachte, wie sie weinte, wie sie ritt, wie sie sich im Fluss wusch, wie sie ihm wutentbrannt Worte entgegenschleuderte, wie Verzweiflung und Stolz in ihrer Miene rangen –, und auch wenn er diese Träume verdrängte, sobald er morgens erwachte, ging sein erster Blick zu ihr.
    Vor dem Krieg hatte Pablo häufig mit Frauen geschäkert, während sie ihm – von Mutter und Schwestern abgesehen – fremd geblieben waren. Er hatte keine Ahnung, wie man sich ihnen näherte und sie zum Lachen brachte. Nun hatte Pablo jeglichen Charme verloren, und Valeria erwartete keine Koketterien – nur dass er sie schützte … und freiließ.
    Am Anfang war es noch leicht gewesen, es ihr auszuschlagen, aber jetzt bekam er immer öfter Zweifel. Er betrachtete sie heimlich, während sie zusammengerollt wie ein Kätzchen neben ihm schlief, und dachte immer wieder: Wir haben kein Recht, ihr das anzutun.
    Wenn sie sich als hysterisches Frauenzimmer erwiesen hätte, das ihn verfluchte und beschimpfte, wäre es vielleicht leichter gewesen, seine Gefühle zu unterdrücken. Aber sie war mutig, zäh und klug … klüger als Pablo, der die Welt in Schwarz und Weiß einteilte, obwohl es die Grautöne waren, die sie bestimmten. Anfangs hatte sie ihn wohl gefürchtet und gehasst wie die anderen, aber mittlerweile sah sie in ihm nicht mehr nur den Feind, sah in ihm vielmehr den Jungen, der seiner Mutter vorsang, und in ihrer Gegenwart konnte er sich eingestehen, wie sehr er seine Mutter vermisste – nicht minder wie den kleinen Jungen. Er genoss die Augenblicke, da jener in ihm erwachte und bewies, dass die Welt mehr zu bieten hatte als Blut und Krieg und grausame Männer und Waffen – unschuldige Kinder nämlich, Lebensfreude, Musik und auch Frauen wie … sie, Frauen, die in vermeintlich hoffnungsloser Situation nicht ablegten, was das Leben lebenswert machte: Neugierde, Offenheit, Abenteuerlust.
    Valentín seufzte, kämpfte jedoch um eine ausdruckslose Miene, als Pablo plötzlich zu ihm trat. Es war Abend, Dunst hing über dem Fluss. Obwohl der Bruder noch müder schien und er selbst sich gleichgültig gab, schien Pablo seine Gedanken lesen zu können.
    »Du kannst dich ja gar nicht mehr von ihrer Seite lösen.«
    Seine erste Regung war, es einfach abzustreiten. Seit er denken konnte, war er vor Pablo, dem Älteren, auf der Hut gewesen. Schon als Kind hätte er oft lieber gelesen, als mit ihm auf Bäume hochzuklettern, doch er wollte sich nicht seinem Hohn ausliefern, hatte seine wahren Bedürfnisse darum oft geleugnet und sich bemüht, jene Stärke an den Tag zu legen, die sein Bruder selbst bewies. Was er wirklich fühlte und wie verletzbar er sich insgeheim wähnte, hatte er immer zu vertuschen versucht – erst recht nach dem

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