Die Rosen von Montevideo
bist ein denkbar schlechter Soldat. Ich ahne es schon seit geraumer Zeit: Für dieses Mädchen bist du bereit, alles zu verraten.«
Sie maßen sich angespannt. Noch hielten sie den letzten Abstand von einigen Schritten aufrecht, aber unmerklich hatten sie beide begonnen, sich zu umkreisen.
»Pah!«, machte Valentín. »Wenn wir sie freilassen und darauf verzichten, neue Waffen einzufordern – was wäre dann schon verloren? Es würde den Verlauf des Krieges nicht ändern. Dazu ist sie zu unbedeutend. Und du, Pablo, du bist es auch.«
Pablo wurde weiß vor Wut. »Francisco Lopez würde das anders sehen. Er hat Menschen wegen weit geringerer Vergehen hinrichten lassen!«
»Weil er ein Diktator ist, wahnsinnig und grausam! Und das weißt du auch. Nur sprichst du es nicht aus, traust dich nicht, es auszusprechen. Wer von uns ist also der größere Feigling?«
»Du wagst es …«
Valentín sah, wie Pablo die Faust ballte und sich sein Körper anspannte. Ein Wort noch, und er würde auf ihn losstürzen wie ein Tier, und diesmal war keiner der anderen Männer zugegen, um sie zu trennen. Diesmal würde Pablo ihn grün und blau schlagen, ihn würgen, ihn vielleicht sogar töten. Valentín wusste: Auch wenn er ihm ein paar schmerzhafte Schläge zufügen konnte – Pablo war stärker als er. Und grausamer. Ja, er traute ihm zu, dass er den eigenen Bruder mit bloßen Händen ermordete – und es machte ihm keine Angst. Kurz frohlockte er beinahe über die Aussicht, in dieser Nacht zu sterben. So oft hatte er sich gewünscht, dass ihn in jener Nacht das gleiche Schicksal wie seine Eltern und Schwestern ereilt hätte, dass er nicht mit dem entsetzlichen Wissen weiterleben hätte müssen, sie nicht gerettet zu haben.
Aber als er den Mund aufmachte, um Pablo zu provozieren, ging ihm plötzlich auf: Wenn er sie schon nicht hatte retten können, wenn Mercedes, Margarita und Micaela nur in seinen Erinnerungen fortleben durften – Valeria konnte er helfen. Und deswegen durfte er nicht sterben. Deswegen durfte er nicht einmal zulassen, zusammengeschlagen zu werden.
Er duckte seinen Kopf und hob abwehrend die Hände. Die Entscheidung, was zu tun war, fiel in Sekundenschnelle.
»Es tut mir leid, Bruder«, sagte er kleinlaut. »Lassen wir es gut sein. Die Wahrheit ist: Wir beide haben uns nicht sonderlich gemocht, und es ist sinnlos, etwas anderes zu heucheln. Aber ebenso sinnlos ist es, unsere Kräfte zu vergeuden, indem wir streiten und uns aneinander aufreiben.«
Pablo, der wohl auf eine neue Beleidigung gefasst gewesen war, ließ verwirrt seine Fäuste sinken. Seine Muskeln, eben noch so straff und zum Losschlagen bereit, erschlafften. »Und wie willst du sie dann nutzen – deine Kräfte?«, fragte er halb ungläubig, halb ärgerlich. »Etwa beim Singen und Bezirzen von Mädchen?«
Valentín schüttelte den Kopf. Er blickte auf seine Hände, saubere Hände – vorhin hatte er sie zum ersten Mal seit Wochen gründlich gewaschen –, und doch rauhe, schwielige Hände. Die eines Mannes. Auch die eines Soldaten?
»Ich weiß es nicht«, brach es aus ihm heraus. »Ich weiß es wirklich nicht, aber … aber ich werde es herausfinden.« Er machte eine kurze Pause, ehe er den Blick hob und entschlossen hinzufügte: »Allein.«
Er sah gleichermaßen Verwirrung und Enttäuschung in Pablos Zügen aufblitzen. Vielleicht, weil er sich insgeheim auf die Prügelei gefreut hatte, um die Anspannung der letzten Tage abzureagieren. Vielleicht, weil er trotz allem den Bruder an seiner Seite wissen wollte.
»Du sagst dich von mir los?«, fragte er entsetzt.
Valentín rang sich ein Lächeln ab. »Warum so dramatisch, Bruder? Ich gehe meinen Weg, und du gehst deinen. In den letzten Monaten haben sich diese Wege gekreuzt – und jetzt führen sie eben wieder in verschiedene Richtungen. Wir müssen uns nicht bekriegen, nur weil wir nicht einer Meinung sind. Es gibt ohnehin zu viel Hass auf dieser Welt.«
Pablo schluckte schwer. »Du bist ein Träumer und wirst es immer sein.« Er klang verächtlich und ein klein wenig neidisch. »Aber wenn du gehst«, fuhr er hitzig fort, »bleibt das Mädchen hier. Du magst denken, dass es ein Leichtes ist, auf das zu verzichten, was sie uns einbringen kann. Aber ich werde das nicht tun.«
Valentín fiel es schwer, eine gleichmütige Miene zu wahren. Wieder mahlten seine Kiefer, dennoch rang er sich ein leichtfertiges Lächeln ab. »Nur weil es der Anstand gebot, mich um sie zu kümmern, werde ich
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