Die Rosen von Montevideo
Absicht über ihren Körper strich und durch ihr Haar fuhr. Anders als sonst hatte sie keinen Sinn für die Landschaft. Selbst wenn sie an blühenden Wiesen vorbeigeritten wären, hätten diese doch wie ein finsteres Tal angemutet. Je länger sie vor Pablo saß, desto unbedeutender wurde ihre Enttäuschung über Valentíns Verrat, und zurück blieb nackte Angst. Selten hatte Pablo seine Züge so unter Kontrolle gehalten wie an diesem Tag, aber genau das war ein alarmierendes Zeichen, weil es umso heftiger in ihm brodelte.
Als sie zu Mittag rasteten, rückte sie so weit wie möglich von ihm ab. Zunächst schien er sie nicht länger zu beachten, aber dann stellte er sich plötzlich vor sie und brüllte: »Mitkommen!«
Sie erstarrte, und da sie nicht gleich reagierte, packte er sie brutal am Arm. Sie schrie auf – doch keiner der Männer regte sich, um einzuschreiten. Sie starrten stumpfsinnig ins Feuer oder machten sich über ihr Mittagsmahl her, während Pablo sie fortzerrte.
Valeria blickte sich hektisch nach Hilfe um, doch weit und breit war kein Haus zu sehen, nur Felder, ein Tümpel und ein Wäldchen. Als sie den Schatten der Bäume erreichten, ließ er sie los, und kurz war es eine Wohltat, nicht länger seinen schmerzhaften Griff zu fühlen. Doch im nächsten Augenblick wuchs ihre Angst und schnürte ihr die Kehle zu.
Breitbeinig stand Pablo vor ihr – und seine Miene war nicht mehr kalt, sondern voller Wut und … Schmerz.
»Erklär es mir!«, schrie er. »Erklär mir, was in meinem Bruder vorgeht!«
Hilflos blickte sie zu ihm hoch.
»Ich habe ihn nie verstanden, und jetzt noch weniger als zuvor!«
Pablo hieb heftig die Füße in den Boden. Erdkrümel regneten auf ihr Gesicht. Sie duckte sich, doch plötzlich fasste er sie erneut am Arm. Seine Bewegung war so ungestüm, dass sie glaubte, er würde ihr die Schulter ausrenken. Er presste sie gegen den Baumstamm, und die rauhe Rinde zerkratzte ihr die Kopfhaut. Noch unerträglicher war, seinen Körper zu fühlen, wie er sich an sie drückte.
»Ich dachte immer, er wäre viel zu weich, zu schwach, zu feige. Aber warum hat ihn dann unsere Mutter so sehr geliebt? Sie war keine Frau, die Schwächlinge mochte, sonst hätte sie nie und nimmer meinen Vater genommen. Und wie beglückt sie Valentín immer angesehen hat, wenn er seine Lieder sang und ihr Geschichten erzählte! Ich habe auf der Plantage gearbeitet, bis meine Hände voller Blasen waren, mein Rücken krumm und meine Füße blutig, aber mich hat sie nie so angesehen, kein einziges Mal!«
Seine Speicheltröpfchen benetzten Valerias Gesicht. Kurz wurde sein Griff locker, aber als sie sich losmachen und an ihm vorbeihuschen wollte, packte er sie wieder, diesmal an der Kehle.
»Als unsere Mutter und Schwestern starben, hatte er keine Zeit mehr, Lieder zu singen«, fuhr Pablo knurrend fort. »Wir kämpften Seite an Seite im Krieg, wir töteten Feinde, wir wollten sie beide rächen, obwohl sie ihn mehr geliebt hat als mich. Doch nun … nun hat er alles verraten. Nicht nur mich, sondern auch sie. Er begreift nicht, dass er ihr letztlich so viel mehr schuldig war als ich.«
»Vielleicht …«, setzte Valeria mit heiserer Stimme an, »vielleicht wünscht sich eure Mutter nicht Rache, sondern dass ihr glücklich werdet. Und vielleicht hat Valentín das erkannt und ist deswegen gegangen.«
Einen Augenblick blickte Pablo sie verwirrt an, fast so, als wüsste er nicht, was Glück bedeute. Dann hob er seine Hand und schlug ihr ins Gesicht. Sie duckte sich, so dass er nur die Schläfe traf, nicht ihre Lippen, aber dennoch war die Wucht des Schlages so heftig, dass sie erst gegen den Baum prallte, dann auf den Waldboden fiel und dort einmal um die eigene Achse rollte. Als sie sich aufrappeln wollte, stand er über und drückte sie nieder.
»Du warst es!«, brüllte er. »Du hast seine Erinnerungen an unsere Mutter geweckt. An deiner Seite wurde er wieder jener weiche Mann von einst. Ich frage mich: Kannst du das aus mir auch machen? Einen Mann, der noch fühlen kann?«
Er schüttelte sie, bis ihr Haar ins Gesicht fiel und sie nichts mehr sah. Ihr Kopf dröhnte, und sie schmeckte Blut – sie hatte sich wohl auf die Lippen gebissen. Völlig wehrlos lag sie unter ihm, als er unvermittelt begann, an ihrer Kleidung zu zerren.
»Nicht … bitte nicht.«
Er hörte nicht auf, sondern öffnete nun auch seine Hosen. Dass er nichts mehr sagte, war kein Trost – im Gegenteil. Sie schüttelte sich die Haare
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