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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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wurde er immer gereizter, die Befehle an die Männer immer schroffer, aber noch eskalierte die angespannte Stimmung nicht.
    Zum ersten Mal seit Wochen machten sie an diesem Abend nicht im Freien Rast, sondern in einer Herberge. Sie war heruntergekommen und wurde von einer ängstlichen Frau bewirtschaftet, die den Männern wohl am liebsten die Tür vor der Nase zugeworfen hätte, dies aber nicht wagte und stattdessen rasch einen Eintopf aufsetzte. Der schmeckte fade, das Fleisch darin war zäh und das Gemüse wässrig, doch nach all dem gebratenen Fleisch war es eine willkommene Abwechslung.
    Auch wenn die Gaststube völlig verdreckt war – Valeria genoss es, endlich wieder einmal ein Dach über ihrem Kopf zu haben, wo sie von Ungeziefer und wilden Tieren geschützt war.
    Als sie überdies nicht auf dem harten Boden liegen musste, sondern auf einer Pritsche, fühlte sie sich wie im Paradies.
    Die Wirtin hatte keine Fragen gestellt, wer sie waren und woher sie kamen, aber sie schien zu ahnen, dass Valeria mit keinem der finster wirkenden Männer verheiratet war, und hatte ihr angeboten, bei ihr unter dem Dach zu schlafen.
    Sosehr Valeria Valentíns Gesellschaft mittlerweile genoss – so lieb war es ihr, nicht länger Pablos Blicken ausgeliefert zu sein. Anstatt weiter über die Brüder zu grübeln, legte sie sich hin, zog die Decke hoch und labte sich an der Stille und der Wärme. Kurz überlegte sie, ob sie der Wirtin anvertrauen sollte, dass sie gewaltsam verschleppt worden war, verwarf den Gedanken jedoch: Sie war hier im Feindesland, und die Frau stand gewiss auf der Seite ihrer Landsmänner – überdies konnte sie, selbst wenn sie bereit gewesen wäre, Valeria zu helfen, nichts gegen ein Rudel Männer ausrichten. Es war großzügig genug, dass sie mit ihr die Dachkammer teilte.
    Wenig später war sie tief und fest eingeschlafen.
    Als sie erwachte, war es stockdunkel. Unwillkürlich spannte sie sich an, glaubte sie sich doch zurück in den Dschungel versetzt und verstand kurz nicht, warum keine Moskitos surrten und kein Feuer knisterte. Dann vernahm sie das Schnarchen der Wirtin, und ihr fiel wieder ein, wo sie war. Sie wollte die Augen schließen, als sie plötzlich – von den Holzwänden gedämpft – Stimmen hörte. Diese waren es wohl auch gewesen, die sie geweckt hatten.
    Sie spitzte die Ohren, verstand aber zu wenig, so dass sie schließlich zum Fenster schlich, die kleine Luke öffnete und nach draußen spähte. Die Stimmen gehörten Pablo und Valentín, die nicht weit vom Haus miteinander stritten.
     
    Valentín hatte auf der Pritsche einmal mehr nicht schlafen können. Lange Zeit hatte er sich so sehr nach einem Dach über dem Kopf gesehnt, doch nun fühlte er sich im geschlossenen Raum nicht geborgen, sondern gefangen. Nachdem er nach draußen getreten war, stellte er fest, dass es nicht nur ihm so ging.
    Pablo stapfte auf und ab und erstarrte, als er Valentín kommen hörte. Eine Weile standen sie sich stumm gegenüber und belauerten einander. Das Gefühl der Entfremdung hatte Valentín in den letzten Wochen nur schleichend überkommen, doch nun tönte in seinem Kopf laut wie nie der Gedanke: Was mache ich nur an seiner Seite? Warum habe ich mich ihm mit Haut und Haar unterworfen? Vor dem Krieg, vor dem Massaker an unserer Familie hatten wir uns doch nie nahegestanden. Kann Nähe, aus Blut geboren, denn eine echte, tiefe sein?
    Pablo schien zu fühlen, was in ihm vorging. Während seine Feindseligkeit meist hinter Hohn verborgen war, offenbarte seine angespannte Miene sie nun unverhohlen.
    »Vater wusste immer, dass du verweichlicht bist«, brachte er gepresst hervor.
    Valentíns Kiefer mahlten. Er wusste nicht, woher der plötzliche Mut kam, seinem Bruder zu trotzen, sich gar mit ihm anzulegen – vielleicht von Valeria, die so tapfer war, vielleicht, weil er endlich entschieden hatte, sein Leben nicht nur der Trauer über Verlorenes zu opfern. In jedem Fall schluckte er den Tadel seines Bruders nicht, wie er es so oft getan hatte. Eisig erklärte er: »Mag sein. Aber Vater hat mich immer gewähren lassen. Er wusste die Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Er zwang ihnen nicht seinen Willen auf wie du.«
    Pablo reckte herausfordernd sein Kinn, als er auf ihn zutrat. »Er hätte es getan, wenn er den Krieg erlebt hätte!«, schrie er. »Im Krieg zählen keine Launen mehr, im Krieg zählt nur unser Land, und dem haben wir zu dienen mit allem, was wir auf die Waagschale werfen können. Doch du

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