Die Rosen von Montevideo
Waffen zu betreten.«
»Sie hat gar nicht gewusst, dass es Waffen waren und …«
Sie hielt inne, denn es war müßig, weiterzusprechen. Sie wollte nicht mit ihm reden, sie wollte ihn umarmen, sie wollte ihn … küssen.
Sie zögerte nicht länger, sondern tat es einfach. Und er wich nicht zurück, brachte nicht die übliche Distanz zwischen sie, sondern erwiderte den Kuss ganz selbstverständlich. Noch schöner war es als beim ersten Mal, seine Lippen zu fühlen und seine Zunge zu schmecken, noch inniglicher – und noch verzweifelter, weil sie beide den Gedanken an den Krieg nicht abschütteln konnten.
Bald genügte es ihr nicht mehr, ihn zu küssen. Sie nahm seine Hand, seine rauhe, aber wohlgeformte Hand, küsste auch sie, zog sie dann zu ihrem Gesicht, zu ihrer Brust. Die Kleidung wurde ihr lästig – die eigene ebenso wie seine Uniform. Sie wollte ihn so gerne ohne diesen Schutzmantel sehen, wollte erleben, was zutage trat, wenn sein Pflichtgefühl von ihm abfiel. Sie ahnte, dass die gleiche Leidenschaft in ihm steckte wie in ihr – eine viel heftigere, als man an Menschen wie ihnen beiden vermuten konnte. Sie wollte sich so gerne den Flammen dieser Leidenschaft überlassen, ganz und gar, so dass nichts von der nachdenklichen, ängstlichen, vernünftigen, sorgenvollen Claire übrig blieb – nur von der Claire, die ihn liebte und begehrte.
Doch plötzlich zuckte Luis zurück.
»Nicht, das … das geht zu weit«, stammelte er mit belegter Stimme.
Kurz war sie zutiefst beschämt, dass er sie für ein leichtfertiges, ehrloses Frauenzimmer halten könnte. Sie atmete schwer. Doch ehe sie sich rechtfertigen konnte, erkannte sie, dass er nur sich selbst Vorwürfe machte – nicht ihr.
»Ich wollte deine Trauer nicht ausnutzen«, erklärte er hastig. »Es käme mir nie in den Sinn, deine Ehre zu beflecken.«
»Das tust du nicht – ich … ich liebe dich doch.« Sie wusste es seit Tagen – es in seiner Gegenwart auszusprechen, war jedoch etwas anderes, als es bloß zu denken.
Ihre Kehle zog sich zusammen. Dies ist der wichtigste Augenblick in meinem Leben, dachte sie plötzlich.
Sein Schweigen währte lange, doch endlich bekannte er mit einer Ernsthaftigkeit, als würde er auf die Bibel schwören: »Ich liebe dich auch.«
Er hatte sich von ihr gelöst, rückte nun noch weiter ab und sah sie durchdringend an. »Willst du mich heiraten?«, fragte er.
»Aber natürlich!«, stieß sie hervor. Sie überbrückte die Distanz, küsste ihn abermals, viel vorsichtiger nun und zärtlicher. Er erwiderte den Kuss, zog dabei jedoch ihre Bluse wieder zurecht, die sie zuvor beiseitegeschoben hatte.
»Ich werde selbstverständlich bei deinem Vater vorsprechen«, erklärte er, als sie wieder zu Atem kamen.
»Er wird keinen besseren Schwiegersohn als dich finden.«
»Trotzdem. Ich will alles richtig machen.«
Claire lächelte, bevor die Sorgen wieder übermächtig wurden.
»Aber ich kann dich natürlich nicht heiraten, ehe ich weiß, was aus Valeria geworden ist.«
Er nickte düster. »Und ich kann dich nicht heiraten, ehe dieser Krieg vorüber ist. Dieser verfluchte Krieg.«
Ein neues Jahr war angebrochen, und seine ersten Tage waren unerträglich heiß. Gnadenlos brannte die Sonne auf Valentín und Valeria herab, als diese sich durch das Land schlugen – und auf die vielen Toten.
Nach der kurzen Atempause zeigte sich das Ungeheuer Krieg so gierig wie nie zuvor, hatte seinen Rachen weit geöffnet und verschlang, wer immer ihm zu nahe kam. Valeria und Valentín gelang es zwar, den großen Schlachten auszuweichen, dennoch wurden sie Zeugen von kleineren Scharmützeln. Nicht immer standen sich dabei die Feinde von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die Mangrullos – so hießen die Beobachtungsposten – hockten verborgen im Gebüsch und auf Bäumen und schossen auf alles, was sich bewegte. Einmal wären sie selbst um ein Haar getroffen worden und konnten gerade noch rechtzeitig in ein Feld fliehen und sich dort zu Boden werfen. Stundenlang warteten sie, atmeten flach und wagten es erst weiterzugehen, als sich die Nacht über das Land senkte.
Andere hatten weniger Glück, wie die vielen Leichen oder frischen Gräber bezeugten. Die meisten Toten trugen Uniform, aber sie stießen auch auf zahlreiche Zivilisten. Und die Aasgeier kreisten nicht nur um Gefallene, sondern auch über den Kadavern von Tieren, die achtlos auf den Straßen lagen. Viele Pferde starben nicht nur in den Schlachten, sondern
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