Die Rosen von Montevideo
wenigsten durchschlagen den Panzer der brasilianischen Dampfer.« Er wollte fortfahren, aber der Rest der Worte ging in neuerlichem Krachen unter. Rasch warf er sich in den Schatten eines Baumes, dessen Äste fast bis zum Boden hingen, und zusammengekauert warteten sie in schwüler Luft und von Insekten umsurrt, dass die Kampfgeräusche leiser wurden.
Unheimliches Schweigen folgte auf die letzten Schreie und Schüsse. Als sie sich aus dem Dschungel hervorwagten und ihr Boot, das gottlob heil geblieben war, wieder ins Wasser stießen, sahen sie Leichen im Wasser treiben.
»Schau nicht hin!«, befahl Valentín knapp.
Valeria wollte das eigentlich nur zu gerne beherzigen, doch sie riskierte trotzdem einen kurzen Blick – und sah Unfassbares.
»Gütiger Himmel!« Sie deutete auf einen Leichnam in Uniform. »Das ist ja eine Frau!«
Valentín nickte düster. »Lopez zieht alle ein, die eine Waffe halten können. Kinder, Greise – und eben Frauen.«
»Wahrscheinlich hofft er, auf diese Weise zu siegen.«
»Nein, ich glaube nicht, dass er noch Hoffnung hat. Doch wenn er schon zugrunde geht, will er sein ganzes Volk mit ins Verderben reißen.«
Abermals schwiegen sie eine Weile. Sie ruderten an diesem Tag nicht lange, legten bald wieder an und schliefen aneinandergekuschelt ein. Für gewöhnlich wagte Valeria es nicht, ihm tröstend über den Kopf zu streicheln, denn sie wusste: Den Kummer, der ihn trieb, konnte und wollte er nicht mit ihr teilen. Aber an diesem Tag wollte sie nicht auf ein Zeichen verzichten, das ihre Liebe und ihr Mitleid bekräftigte, und er ließ es zu und seufzte ebenso wohlig wie verzweifelt.
Jene Nacht war die letzte heiße. Es folgten Regentage, die die Welt grau und den Fluss zu einem reißenden Gewässer machten. Während des ganzen Tages prasselten dicke Tropfen auf sie ein, und sie konnten sich durch nichts schützen. Abends versuchte Valentín, ein notdürftiges Dach aus Ästen zu binden und mit Rindshäuten abzudecken, und tatsächlich konnten sie darunter manchmal für einige Stunden im Trockenen sitzen, obwohl die Luft so schwül war, dass die Kleidung weiterhin durchnässt an ihrem Körper klebte. Doch manchmal kamen Stürme auf, ebenso heftig wie plötzlich, die die notdürftige Unterkunft zerstörten und sie erneut der Nässe preisgaben.
Anstatt zu schlafen, saßen sie zitternd aneinandergepresst. Trotz aller Qualen, die sie in jenen Stunden durchlitt – Valeria ahnte, dass sie sich Valentín nie wieder so nahe fühlen würde wie in diesem Augenblick. Sie küssten und liebten sich, um sich zu wärmen, um nicht zu verzweifeln und um dem Gefühl zu entgehen, in dieser Hölle allein zu sein.
Meistens bewachte er ihren Schlaf – nur einmal nickte er völlig erschöpft vor ihr ein.
Sie betrachtete lange sein schlafendes Gesicht, fühlte Zärtlichkeit, Liebe – und nach wie vor Schuld.
Sie summte eines der Lieder, das sie von ihm gelernt hatte, lauschte seinem Atem, der so gleichmäßig tönte wie das Rauschen des Regens, und tat einen stillen Schwur: Ich werde dich nie im Stich lassen. Vielleicht wird es mir eines Tages gelingen, die Traurigkeit in deinen Augen zu besiegen und dir eine neue Heimat zu schenken.
Mit Pablo und seiner Truppe war Valeria mehr als zwei Monate unterwegs gewesen – der Weg zurück dauerte fast doppelt so lange. Nach einigen Wochen überquerten sie mit einem kleinen Boot den Río Paraná und erreichten Argentinien, nach weiteren Tagen überschritten sie in einer dichtbewaldeten Gegend die Grenze nach Uruguay – oder glaubten das zumindest. Ganz sicher konnten sie sich nicht sein. Erst nachdem sie tagelang weder Gefallenen noch Flüchtenden begegneten, wuchs die Überzeugung, dass sie Valentíns Heimat endgültig verlassen hatten.
Auf die Wälder folgte die Pampa, und das schmale Bächlein, an dem sie entlanggingen, mündete irgendwann in einem Fluss. Valentín behauptete, dass es der Río de la Plata sei, der sie zum Meer lotsen würde – und nach Montevideo.
Auch jetzt mussten sie sich noch oft verstecken – nicht vor Kampfhandlungen, aber vor den vielen Truppen, die Richtung Nordwesten unterwegs waren. Valeria lernte, sich auf alle erdenklichen Arten unsichtbar zu machen, beim kleinsten Geräusch zu erwachen und so schnell zu laufen wie die vielen Tiere der Steppe. Vor allem lernte sie, den Gedanken daran zu verdrängen, was ihnen zustoßen würde, fielen sie in die Hände des Militärs.
Einmal wurden sie trotz aller Vorsicht von
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