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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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verhungerten oder wurden gnadenhalber von ihren Besitzern getötet, um einem langsamen, quälenden Sterben zuvorzukommen.
    »Schon in den ersten Kriegsjahren waren Mais und Heu oft knapp«, erklärte Valentín, »und wurden nur an die Pferde der Offiziere verteilt.«
    Valeria wunderte sich nicht, dass der Nachschub oft ausblieb: So viele Felder lagen brach, und selbst dort, wo man im Frühling die Saat ausgebracht hatte, wurde das überreife Getreide nicht geerntet, weil Arbeitskräfte fehlten. Und manchmal kamen sie zu Siedlungen und Gehöften, wo die Menschen weinten, weil ihre Vorratskammern in Feuer aufgegangen waren.
    »Die Ernte von einem ganzen Jahr – einfach dahin!«, riefen sie verzweifelt.
    Erst dachte Valeria, dass die Heere der Allianz schon so tief ins Land vorgedrungen waren und diesen Schaden angerichtet hatten, doch die Bauern berichteten, dass es paraguayische Soldaten gewesen wären, die alles vernichtet hätten.
    »Warum machen sie denn das?«, fragte sie ungläubig.
    »Es ist die Taktik der verbrannten Erde, die Francisco Solano Lopez anwendet«, antwortete Valentín düster. »Auf diese Weise verhungert sein eigenes Volk – aber das fremde Heer eben auch.«
    Valeria war entsetzt über die Grausamkeit des Diktators, musste aber noch öfter erleben, dass es in diesem Krieg keine Gnade zu geben schien.
    Einmal begegneten sie einer Gruppe Frauen und Kinder, die ihre Wagen selbst zogen, da sie keine Maultiere und Ochsen mehr besaßen.
    Für gewöhnlich versteckten sie sich vor allen Menschen aus Furcht, dass man Valentín für einen Deserteur halten oder sofort einziehen könnte, aber weil weit und breit kein Soldat zu sehen war, traten sie auf die Frauen zu und fragten sie nach Neuigkeiten.
    Die Gesichter kündeten von großem Schrecken. Eine Weile starrten sie Valeria und Valentín nur mit offenen Mündern an, brachten jedoch kein Wort hervor. Selbst die Kinder quengelten oder stritten nicht, sondern waren verstummt.
    Immer wieder mussten sie behutsam fragen, was ihnen nur zugestoßen war, ehe eine Frau zu weinen begann, eine andere ins Schluchzen einstimmte und eine dritte mit brüchiger Stimme von dem zurückliegenden Grauen berichtete.
    Eine Truppe Kavalleristen aus Argentinien war in ihr Dorf eingefallen. Obwohl sie auf keine Gegenwehr stießen, hatten sie sich einen Spaß daraus gemacht, Frauen und Kinder mit Lanzen aufzuspießen oder mit Säbeln zu zerstückeln. Das Lazarett mit den Verwundeten kreisten sie erst ein, dann brannten sie es mitsamt den Patienten darin nieder.
    »Sie wollten Munition sparen«, schloss die Frau. »Deswegen haben sie die meisten von uns wie Tiere abgeschlachtet.«
    »Und du … wie bist du ihnen entkommen?«
    »Ein Soldat hatte Mitleid. Er hat mich nur vergewaltigt, aber hinterher keine Lust, mir auch den Säbel in den Leib zu stoßen. Er hat gelacht – so laut und so lange gelacht, bis ihm Tränen in die Augen kamen.«
    Valeria erschauderte. Auch andere Frauen erzählten nun ihre Geschichte. Die meisten Worte klangen wirr, und Valeria hoffte bei vielen Schilderungen, sie würde insgeheim etwas falsch verstehen. Aber selbst wenn es so gewesen wäre – ihre starren Blicke erzählten von sinnlosem Blutvergießen, verrohten Menschen und unbeschreiblichem Leid, von Gewalt, Folter und Tod. Nachdem sie die Frauen eine Wegstrecke begleitet hatten, verabschiedeten sie sich wieder. Keiner erklärte, wohin er unterwegs war – wohl um nicht daran zu rühren, dass es in diesem geschundenen Land keinen sicheren Ort mehr gab, wohin man flüchten konnte.
    Einige Tage später begegneten sie einer Lazaretttruppe. Mehrere Ärzte und Krankenschwestern brachten ihre Patienten offenbar vor nahen Kampfhandlungen in Sicherheit. Zunächst hielten sich Valentín und Valeria wohlweislich versteckt, aber dann erkannten sie, dass ein Rad von einem der Wagen gebrochen war, und Valentín wollte seine Hilfe nicht verweigern. Niemand fragte, warum er sich mit einer Frau durchs Land schlug – vielmehr wurde von neuen Schrecknissen berichtet.
    »Wir haben nicht nur gegen Kriegsverletzungen zu kämpfen«, sagte einer der Ärzte, »sondern gegen Masern, Ruhr und Pocken. Die Krankheiten sind unter den Paraguayern so plötzlich aufgetreten, dass der Verdacht naheliegt, sie sind absichtlich von den Argentiniern eingeschleppt worden. Und die Männer, die nicht daran erkranken, leiden an schrecklichem Hunger.«
    Als sie später dem Zug nachblickten, senkte sich angespanntes Schweigen über

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