Die Rosen von Montevideo
verscherzen wollte und es ihm außerdem wohl gar nicht ungelegen kam, dass Valeria fort war. So hatte sich das Problem von selbst erledigt, seinetwegen könnte sie gerne auf ewig verschollen bleiben, Hauptsache, die Geburt ihres Bastards ließ sich vor der besseren Gesellschaft Montevideos verschleiern.
Isabella nahm Claire später zur Seite und erklärte, dass sie von Valerias Flucht gewusst, ja sie dabei sogar unterstützt hatte. Das schlechte Gewissen schien sie zu plagen, denn schon am Morgen danach teilte sie mit, an Fieber zu leiden, und zog sich zurück.
Claire fühlte sich einsam und isoliert wie nie. Auf die de la Vegas’ konnte sie gut verzichten, aber es schmerzte sie, dass sie mit Luis nicht offen über ihre Sorgen reden konnte. Der schützte Valentín im Gefängnis zwar weiterhin so gut wie möglich, wollte ihr aber nicht sagen, wie es ihm genau ging, und schon gar nicht seine Freilassung erwirken. Dass Valeria ein Kind bekam, befremdete ihn sichtlich. Er äußerte seine Kritik nicht laut, doch Claire konnte seine Gedanken förmlich hören: dass er selbst nie eine Frau geschwängert hätte, mit der er nicht vor Gott und der Welt verheiratet war und der er nichts bieten konnte.
Eigentlich dachte Claire ähnlich und wünschte insgeheim, Valeria hätte mehr Besonnenheit und Vernunft bewiesen, anstatt sich in diese Lage zu bringen, aber Luis gegenüber fühlte sie sich verpflichtet, für ihre Cousine Partei zu ergreifen, was meist in hilflosem Gestammel endete, das er mit Schweigen beantwortete. Vorbei war die Zeit, da sie sich in seiner Gegenwart gelöst und unbeschwert wie nie fühlte. Schon nach ihrer Rückkehr nach Montevideo war es schwer gewesen, zu ihm durchzudringen, doch jetzt entfremdeten sie sich immer mehr. Er behandelte sie zwar mit vollendeter Höflichkeit, küsste sie aber nicht mehr, und wann immer sie von ihrer Zukunft sprach, vertröstete er sie auf später.
Nur, wann sollte dieses Später sein? Valeria war doch nach Hause gekommen, und der Krieg konnte noch ewig andauern! Worauf wartete er? Darauf, dass nichts zwischen ihnen stand? Darauf, dass das Leben wieder leicht und schön war?
Nun, vielleicht wurde es das nie wieder – und dennoch wollte sie dieses Leben mit ihm teilen. Die rechten Worte, ihm das zu beteuern, fand sie jedoch nicht.
Dass schließlich Rosa und Albert in Montevideo eintrafen, machte das Leben nicht leichter – im Gegenteil. Sie waren verzweifelt, ihre Tochter nicht anzutreffen, und fragten Claire ständig nach ihr aus. Die konnte ihnen nichts sagen, was sie nicht schon wussten, und es tat ihr weh, zu erleben, dass die einstmals so beherrschten, fast kalten Eltern schreckliche Sorgen und Ängste um die Tochter ausstanden und dass sie nicht nur bewiesen, wie sehr sie sie trotz allem liebten, sondern auch miteinander viel herzlicher und offener redeten als je. Sie hätte sich so sehr gewünscht, dass Valeria davon wusste – so aber schienen ihr all die warmherzigen Gefühle vergeudet, und sie empfand Hilflosigkeit, weil sie ihnen keinen Trost spenden konnte.
Das Wetter wurde kühler, Stürme vertrieben die Hitze, und je grauer der Himmel sich zeigte, desto öfter wurde Claire von Traurigkeit gepackt, die sie nicht recht zu deuten wusste. Als der Winter kam, hielt sie die Einsamkeit und Untätigkeit nicht länger aus.
Sie ging zu Espe, die selbst im Regen im kleinen Gärtchen arbeitete, und erklärte: »Wir müssen reden.«
Sie war sich sicher, dass Espe Valeria nicht nur zur Flucht geraten hatte, sondern auch wusste, wo genau sie steckte. Bis jetzt hatte sie die Entscheidung der Cousine, sie selbst nichts davon wissen zu lassen, respektiert, aber nun wollte sie darauf keine Rücksicht mehr nehmen: »Wie geht es ihr?«, fragte sie knapp.
Espe musterte sie eine Weile ruhig, dann sagte sie unumwunden: »Schlecht. Sehr schlecht. Manchen Frauen macht eine Schwangerschaft kaum zu schaffen, doch Valeria zählt nicht zu ihnen. Wahrscheinlich macht sie sich zu viele Sorgen.«
Claire seufzte. »Warum hast du Tante Rosa nicht erzählt, wo sie ist? Du bist ihr doch immer treu ergeben gewesen!«
Espe nickte. »Gewiss. Aber ich habe Valeria ein Versprechen gegeben. Und daran halte ich mich. Sie weiß, dass ihre Mutter in Montevideo ist, aber …«
Espe schwieg vielsagend, und Claire ahnte, wie der Satz endete. Valeria hatte kein Vertrauen zu Rosa.
»Und mich … will sie mich auch nicht sehen?«
»Ich kann sie fragen.«
»Tu das bitte.«
Espe sagte nichts
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