Die Rosen von Montevideo
noch eine andere Möglichkeit.«
Langsam begann Claire zu ahnen, warum Valeria Espe gestattet hatte, sie hierherzubringen, und unwillkürlich schüttelte sie den Kopf immer heftiger. »Ich kann dir nicht helfen, versteh doch. Bitte komm nach Hause!«
»Nie und immer!«, zischte Valeria und ballte ihre Hände zu Fäusten. »Ach Claire, ich liebe ihn, er ist der Mann meines Lebens, ich will mit ihm zusammen sein, und ich will mein Kind behalten!«
Claire biss sich auf die Lippen. Am liebsten hätte sie gesagt, ich liebe Luis doch auch, ich könnte mich nie gegen ihn stellen. Aber die eigenen Gefühle hatten in diesem dreckigen, stickigen Loch keinen Platz. Valerias Elend war deutlich größer.
»Bitte, du musst mir helfen«, flehte Valeria. »Ich habe mir überlegt …«
Schwerfällig ließ sie sich wieder auf die Pritsche sinken. Als Claire sich zu ihr hockte und ihre Hände ergriff, erklärte sie ihr ihren Plan.
Claire brachte es nicht übers Herz, sie zu unterbrechen, und nachdem Valeria geendet hatte und sie erwartungsvoll anstarrte, konnte sie ihre Bitte nicht einfach ablehnen.
»Ich denke darüber nach«, sagte sie seufzend, »aber fürs Erste musst du dich damit zufriedengeben, dass ich dir etwas zu essen und frische Kleidung bringe.«
An dem Tag, als Claire sich zum Gefängnis durchkämpfte, waren die Straßen voller Menschen, und für den eigentlich kurzen Weg benötigte sie fast eine Stunde. Hinterher war sie voller Staub und verschwitzt.
Kürzlich hatte die Kirche in Rom ein neues Dogma verkündet, die unbefleckte Empfängnis Mariens, und am heutigen Tage wurde diese mit einem großen Kirchenfest samt Prozession gefeiert, an deren Spitze man eine mit Blumen geschmückte Marienstatue trug. Die Kirche war auch außen prächtig dekoriert – mit Goldbrokat, Scharlachbehängen und zahlreichen Draperien in Uruguays Nationalfarben Blau und Weiß.
Die Gesichter der Menschen waren anfangs ernst, wie es der feierliche Anlass gebot, doch im Laufe des Tages wurde die Stimmung ausgelassen. Man vergaß, warum man feierte, und freute sich über den arbeitsfreien Tag, an dem man lachen, trinken, essen und tanzen konnte.
Claire wurde das Herz schwer, als sie in die vielen fröhlichen Gesichter blickte. Sie kündeten davon, dass für andere das Leben leicht war, während sie eine so schwere Entscheidung hatte treffen müssen.
Immer noch zweifelte sie daran, ob sie den Plan durchführen konnte. Als Valeria vorhin noch flehentlich ihre Hand gedrückt hatte, war sie sich zwar sicher gewesen, dass sie es tun musste, doch nun, da sie auf sich allein gestellt war, sank ihr Mut. Nur zu deutlich fühlte sie das Fläschchen in ihrer Tasche, das Espe ihr mitgegeben hatte, und obwohl es winzig war, schien es schwer wie Blei zu wiegen.
Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich. Mach es ganz oder gar nicht!
Um ihr Vorhaben umzusetzen, durfte sie nicht zeigen, wie sehr sie mit sich und der Welt haderte, sondern musste frohgemut wirken. Mit aller Willenskraft schluckte sie ihr Unbehagen hinunter und setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, als sie das Gefängnis erreichte.
Obwohl das graue Gebäude einschüchternd wirkte, ging es auch im Innenhof lustig zu. Darauf, den Gottesdienst zu feiern und zu beten, verzichtete man gerne, nicht aber darauf, wie alle anderen Bewohner Montevideos zu feiern. Standen die Soldaten ansonsten streng auf ihren Posten, saßen die meisten nun um ein Holzfeuer, um Asado zuzubereiten, gegrilltes Rind, oder Carne con cuero – Fleisch, das in der eigenen Haut zubereitet wurde. Nicht weit davon wurde über einem kleineren Feuer überdies ein Ziegenböckchen gebraten. Einige der Männer hatten die Jacke ihrer Uniform abgelegt, die hohen Stiefel ausgezogen und die Beine hochgelegt.
Claires Blick ging unwillkürlich zu den vergitterten Fenstern. Gewiss strömte der Geruch nach frisch gebratenem Fleisch in die Zellen, doch die Gefangenen würden nichts davon abbekommen, sondern mussten hungern.
Sie mied die anzüglichen Blicke, straffte den Rücken und ging unbeirrt auf den Eingang zu. Noch ehe sie ihn erreichte, traf sie eine Stimme.
»Claire!«
Sie fuhr herum. Natürlich hatte Luis seine Uniform nicht abgelegt, und ihr wurde noch schwerer ums Herz angesichts seiner stattlichen Erscheinung. Der übliche strenge Zug um den Mund entspannte sich kurz, und sein Gesichtsausdruck wurde sanft und liebevoll, als er näher kam und sie betrachtete. Viel zu früh riss er sich wieder zusammen und gab sich
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