Die Rosen von Montevideo
bemerkt, dass ihre Eltern sich von Herzen mochten. In jedem Fall wäre Valeria gerne Rosas Beispiel gefolgt, aber Espe gab zu bedenken, dass die Familie seitdem umgezogen war und es hier keinen Hinterausgang gab, aus dem sie unbemerkt fliehen könnte.
»Ich könnte aus dem Fenster klettern«, schlug Valeria vor.
»In deinem Zustand ist das viel zu gefährlich«, entgegnete Espe.
»Aber gerade weil ich schwanger bin, sollten wir nicht länger warten. Noch bin ich halbwegs beweglich.«
»Trotzdem – dabei helfe ich dir nicht. Ich lasse mir etwas anderes einfallen.«
Das war leichter gesagt als getan, und in den nächsten Tagen blieb Espe meist in Schweigen versunken, anstatt einen konkreten Vorschlag zu unterbreiten. Eines Tages kam jedoch Isabella zu ihr ins Zimmer. Zunächst dachte Valeria, dass sie ihr nur ein wenig Gesellschaft leisten wollte, und freute sich über die Zerstreuung, doch dann fragte Isabella vermeintlich nebenbei: »Hast du damals in der Oper auch die Tapadas gesehen?«
»Die Tapadas?«
»Claire hat mich später darüber befragt. Sie war ganz fasziniert davon. Die Tapadas sind unverheiratete Frauen, die ohne männliche Begleitung ausgehen. Sie sitzen in den oberen Logen, und ihre Gesichter sind mit dunklen Schleiern verhüllt.«
Valeria runzelte die Stirn. Warum erzählte sie ihr das nur? »Nun, Tante Leonora lässt mich ganz sicher nicht in die Oper gehen. Ob mit oder ohne Schleier«, sagte sie.
Isabella lächelte. »Aber mich schon.«
Valeria begriff immer noch nicht. »Schön für dich«, murmelte sie.
»Es ist nämlich so«, fuhr Isabella eifrig fort. »Normalerweise besuche ich mit meinem Vater die Oper, aber nächste Woche ist er auf Geschäftsreise. Ich werde also ohne männliches Geleit am Mittwochabend das Haus verlassen und darum verschleiert sein. Draußen steht dann schon die Kutsche bereit.«
Valeria blickte sie fragend an.
»Das Kleid, das ich tragen werde, ist schrecklich unförmig«, erklärte Isabella mit dem Anflug eines Lächelns. »Nicht so elegant wie das der anderen Frauen. Damals konntest du mir ja nicht zu besserer Kleidung verhelfen.«
Endlich begriff Valeria. »Du meinst, ich könnte an deiner Stelle …«
Sie kam nicht weiter, denn plötzlich ertönte Leonoras schrille Stimme: »Isabella! Was hast du hier verloren?« Laut atmend erschien sie an der Tür, von wo aus sie erst Isabella anfunkelte und sich dann zischend an Valeria wandte: »Ich erlaube es dir nicht, dass du meine Tochter verdirbst.«
Valeria konnte sich eine schroffe Entgegnung nicht verkneifen. »Vor wenigen Monaten war ich noch ein Vorbild für sie.«
»Jetzt gewiss nicht mehr. Wenn dein Kind … dein Bastard erst einmal geboren ist, wirst du sofort zu deinen Eltern zurückkehren. Oder noch besser: Du gehst ins Kloster. Ja, wenn ich mir das recht überlege, ist das eine vorzügliche Idee. Bei den Schwestern der Unbefleckten Empfängnis kannst du deine Sünden abbüßen.«
Valeria hatte noch nie ein Kloster von innen gesehen. In Frankfurt hatte sie gemeinsam mit ihren Eltern manchmal die Messe besucht, ansonsten hatte Religion in ihrem Leben keine große Rolle gespielt. Allerdings konnte sie sich ein solches Leben nur allzu gut vorstellen: in winzigen Zellen eingesperrt, auf kaltem Boden kniend, ständig schweigend. Es musste todlangweilig sein, schlimmer noch als der Unterricht bei Fräulein Claasen.
Kurz packte sie Angst, aber dann sah sie, wie Isabella ihr aufmunternd zunickte, und sie zwinkerte zurück zum Zeichen, dass sie verstanden hatte.
Nein, sie würde nicht in einem Kloster landen, und nein, sie würde nicht bis zur Ankunft ihrer Eltern warten. Am nächsten Mittwoch würde sie sich dunkel kleiden und an Isabellas statt das Haus verlassen – und dann, dann musste sie überlegen, wie sie auch Valentín befreien konnte.
Claire litt unter der Hitze genauso wie Valeria, und obwohl sie sich insgeheim danach sehnte, im Meer zu schwimmen, verbat sie es sich. Sie hätte sich schäbig gefühlt, in Tagen wie diesen einem so oberflächlichen Vergnügen nachzugehen, auch wenn niemand sie dafür zur Rede gestellt hätte. Niemand im Haus sprach noch mit ihr.
Nachdem Valeria verschwunden war, hatte Leonora ihr zwar wütend vorgeworfen, dass sie Valeria zur Flucht verholfen hatte, doch ehe Claire dies leugnen konnte, hatte sich Julio schützend vor sie gestellt: »Lass das Mädchen in Ruhe.«
Claire wusste, dass seine Sorge nicht ihr galt, er es sich vielmehr nicht mit Carl-Theodor
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