Die Rosen von Montevideo
unbewegt, wollte er vor den anderen doch seine Gefühle nicht zeigen.
Die letzten Wochen kamen Claire in den Sinn, da sie so häufig wegen Valentín gestritten hatten. Was für eine verschwendete Zeit!, dachte sie. Warum haben wir unsere Gesellschaft nicht einfach nur genossen?
»Was machst du hier?«, fragte er verwundert.
Nachdem er sie ein Stückchen zur Seite geführt hatte, entschuldigte sie sich für ihr unangekündigtes Kommen. »Es tut mir leid, ich kann mir vorstellen, dass du mich nicht hier haben willst, aber ich konnte nicht anders. Ich musste Valeria versprechen, dass ich …«
»Was versprechen?«, fiel er ihr hart ins Wort.
»Luis, ich bitte dich, sag nicht gleich nein! Sie will, dass ich Valentín eine Botschaft überbringe. Du … du musst mich zu ihm führen.«
Sein Ausdruck wurde immer strenger. »Warum kommt sie nicht selbst, sondern schickt dich?«
Claire zögerte, dann brachte sie mit gesenktem Blick die Lüge hervor, die sie sich ausgedacht hatte. »Du weißt doch, dass sie guter Hoffnung ist. Es gab Komplikationen, seit gestern liegt sie mit Blutungen im Bett …«
Gott sei Dank war Luis verlegen, dass sie so offen über weibliche Angelegenheiten sprach, und sah ihr das schlechte Gewissen angesichts der Lüge nicht an.
»Bitte, Luis!«, flehte sie. »Lass mich zu Valentín! Sonst regt sich Valeria noch mehr auf, und das könnte dem Kind schaden. Vielleicht verliert sie es sogar, und das würde ihr endgültig das Herz brechen. Ach Luis …«
Tränen traten ihr in die Augen, weil sie ihn so dreist belog – und es machte die Sache nicht besser, dass er ihren Kummer als Sorge um ihre Cousine deutete.
»Du hast ja recht«, gab er schneller nach, als sie erwartet hatte, »vielleicht habe ich in den letzten Wochen zu hart geurteilt. Selbstverständlich bist du Valeria verpflichtet – und sie diesem Mann.«
Jedes seiner Worte gab ihr einen Stich. Nicht nur dass er andeutete, wie sehr auch ihm die Entfremdung der letzten Wochen zugesetzt hatte – überdies brachte er ihr eines der größten Opfer, zu denen er fähig war: Er stellte sie vor seine Pflicht.
Er blickte sich um, doch die anderen Männer aßen, prosteten sich zu und achteten nicht länger auf sie.
»Also gut, ich bringe dich zu ihm.«
Dass alles so leicht gelang, schürte Claires Skrupel. Sie wusste, sie konnte nun nicht mehr zurück, aber am liebsten hätte sie ihn einfach stehengelassen, wäre hinaus auf die Straße gelaufen und hätte sich unter die Prozession gemischt.
»Könntest du mir etwas zu trinken geben, bevor du mich zu ihm bringst?«, bat sie stattdessen. »Es war so anstrengend, hierherzukommen, du weißt, die vielen Menschen auf der Straße … Ach, ich sterbe vor Durst.«
Falls ihn ihre Bitte verwunderte, so zeigte er es nicht. Er ließ sie im Hof zurück und kam wenig später mit einem Krug verdünnten Weins und einem Becher wieder. Wie sie erwartet hatte, machte er keine Anstalten, selbst etwas davon zu trinken.
»Nicht im Dienst«, erklärte er, als sie ihn dazu aufforderte.
»Ach, komm schon, Luis, an einem Tag wie heute …«
»Gerade heute muss zumindest einer nüchtern bleiben. Schau dich doch um! Keiner von ihnen nimmt es mit der Pflicht allzu genau.«
Sie seufzte. »Warum fühlst dann ausgerechnet du dich dazu bemüßigt?«
Die übliche Falte erschien auf seiner Stirn. »Weil ich nun mal so bin. Und weil ich mir denke, dass es im Leben besser ist, eine Sache ganz als zwei nur halb zu machen.«
Sie verstand ihn, verstand ihn so gut – dennoch neigte sie sich vertraulich vor und lächelte ihn halb kokett, halb flehentlich an.
»Ich weiß, dass bei dir die Pflicht über allem anderen steht. Und sosehr ich dich dafür bewundere: Manchmal hatte ich in den letzten Wochen Angst, dass du sie selbst vor mich stellst. Ich fragte mich, was ich dir wert bin, wenn du eher mich deinen Prinzipien opferst als umgekehrt!«
Seine Strenge wich Bestürzung. »Sag doch so etwas nicht, Claire!«
»Aber es ist doch wahr! Wir haben uns so oft wegen Valentín gestritten, und …«
»Ich habe doch eben zugestimmt, dass ich dich zu ihm bringe!«
»Ja, gewiss. Du wirst mich in einen finsteren Kerker führen, wo ein Mann nach schlimmsten Folterungen schon seit Monaten vor sich hinvegetiert. Kannst du mir nicht nachsehen, dass ich vor diesem schweren Gang gerne bei meinem Liebsten sitzen würde, das Gesicht in die Sonne halten und mich an ein paar Schlucken süßen Weins erfreuen?«
Sie schloss die
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