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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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allein tragen. Espe war ja da, und was immer diese von Valerias Entscheidung hielt, sie ließ es sich wie gewohnt nicht anmerken. Anstatt sich um das Kleine zu kümmern, hatte sie zunächst erst einmal die Nachgeburt verscharrt – es brächte Unglück, sie liegen zu lassen, erklärte sie, und zwar für beide Kinder –, doch danach nahm sie Claire das Würmchen ab.
    Sie wickelte es in ein weiteres Tuch, presste es an ihren Leib und begann, es zu wiegen, während sie ein Lied in fremder Sprache sang.
    »Sollten wir ihm etwas zu essen geben?«, fragte Claire.
    »So kleine Kinder müssen noch nichts essen, sie können ein paar Tage ohne Nahrung durchhalten. Vielen Müttern schießt die Milch erst später ein. Der Magen ist noch klein und noch voll von der Zeit im Mutterleib. Nein, das Kind muss vor allem lernen, zu atmen.«
    Claire hatte keine Ahnung, wie das anzustellen war, aber Espe presste immer wieder ihre Lippen auf die des Kindes, hauchte ihm ihren Atem ein und sang weitere Lieder. Mittlerweile klangen sie eher wie ein beschwörender Zauberspruch.
    Claire war zu vernünftig, um an Zauberei zu glauben, aber Espes Worte hatten etwas Beruhigendes. Ihre Panik schwand, die Erregung ließ nach. Sie saß nach all den Ereignissen des Tages ganz ruhig in Pilars Gaststube, sah Espe mit dem Kind zu und fühlte kurz weder den Schmerz, weil sie Valeria verloren hatte, noch das schlechte Gewissen gegenüber Luis, das sie nun schon seit Wochen verfolgte. Das Zimmer war stickig und dreckig, die Fliegen umsurrten ihren Kopf, trotzdem hatte sie das Gefühl, in einer Blase zu sitzen, die sie vor der bösen Welt schützte, wo Mütter Kinder verließen und Kinder starben.
    Nun, dieses starb selbst dann nicht, als Pilars schrille Stimme den Frieden störte und sie sie hoch in Valerias einstige Unterkunft jagte.
    Noch blieben sie dort, denn sie wollten das Kleine nicht der kalten Nachtluft aussetzen, und als einige Stunden später der Morgen dämmerte, klang das Quäken aus dem Mund des Kindes zwar immer noch hoch und schwach, aber seine Haut war etwas rosiger, die Lippen schimmerten nicht mehr bläulich, und es standen auch keine Bläschen mehr in den Mundwinkeln. Es schlief ruhig und atmete tief.
    »Wir müssen es nach Hause bringen«, entschied Claire.
    Espe nickte. Kurz rührten sie sich beide nicht aus Angst, den Zauber dieser Stunde zu brechen und jenen Ort zu verlassen, wo sie in Sicherheit waren, aber dann gab sich Claire einen Ruck und stieg, von Espe gefolgt, die Treppe nach unten. Espe hatte das Kind weiterhin besitzergreifend an sich gepresst, so dass Claire es nicht wagte, es einzufordern. Insgeheim war ihr das ganz recht. Schließlich hatte sie mehr als genug für Valeria getan.
     
    Als sie wenig später in die Straße einbogen, wo die de la Vegas’ lebten, sah Claire Luis schon von weitem. Wie so oft hatte er eine starre Haltung eingenommen und ein ausdrucksloses Gesicht aufgesetzt. Auch er musste sie gleich erkannt haben, aber er reagierte auf ihr Erscheinen völlig ungerührt. Gewiss war er zum Haus der de la Vegas’ gekommen, um sie hier abzupassen, doch selbst als sie unmittelbar vor ihm stand, verhielt er sich, als wäre sie eine Fremde, deren Weg sich nur zufällig mit seinem kreuzte.
    »Luis, endlich!«, rief sie. »Ich versuche schon seit Wochen, mit dir zu reden und …«
    Sie brach ab, die Kehle war ihr trocken geworden. Wenn er sie mit Vorwürfen überhäuft oder tiefste Verachtung gezeigt hätte, hätte sie damit leben können. Diese Gleichgültigkeit jedoch war unerträglich. Vielleicht brodelte es darunter, vielleicht schützte er sich damit nur vor bitterstem Schmerz, aber sie wusste plötzlich, dass er ihr seine wahren Gefühle nicht zeigen würde. Und auch, dass er nie mehr zu ihr sagen würde: »Ich liebe dich.«
    Ihre Verzweiflung wuchs. Sie nickte Espe zu, und die verstand ihre Aufforderung und ging wortlos mit dem Kind ins Haus.
    »Das war Valerias Tochter«, murmelte Claire. »Sie hat Zwillinge geboren. Wir dachten, das schwächere der beiden stirbt, aber noch lebt es … noch lebt es.«
    Luis verzog nach wie vor keine Miene.
    »Sie ist mit dem anderen Kind Valentín gefolgt«, fuhr Claire hilflos fort, »sie hat alle Brücken hinter sich abgerissen, vielleicht sehe ich sie nie wieder.« Sie biss sich auf die Lippen, während sie nach Worten rang. »Ich musste ihr helfen! Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen, sie hatte doch niemanden außer mir und Espe! Es war immer schon so … seit

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