Die Rosen von Montevideo
Kleine in den ersten Tagen nähren würde.
»Ich muss Valentín folgen«, verkündete sie.
Claire starrte sie fassungslos an. »Hast du den Verstand verloren? Du hast gerade zwei Kinder geboren …«
»Eben, durch die Geburt habe ich viel Zeit verloren.«
Sie ging ein paar wackelige Schritte, und insbesondere zwischen den Beinen fühlte sie prompt einen ziehenden Schmerz, aber es war nicht unmöglich, sich aufrecht zu halten. Mit viel Willenskraft würde sie es schaffen.
Claire hielt das schwächliche Mädchen. »Willst du sie nicht endlich auch in den Arm nehmen?«
Der Schmerz zwischen den Beinen wurde bedeutungslos, gemessen an dem, der in ihre Seele schnitt. Valeria versuchte, gleichgültig zu wirken, aber auch wenn sie sie vor den anderen verbergen konnte, war sie doch da – die Sehnsucht, das Kind zu nehmen, an sich zu pressen, an ihren Brüsten saugen zu lassen, bis seine Haut gesund und rot und seine Stimme kräftig war wie die vom ersten. Aber sie wusste – es würde viel zu lange dauern, und die Hoffnung, dass das überhaupt geschehen würde, war denkbar gering. Wenn sie jetzt nachgab, hierbleiben und warten würde, bis das Kind starb, würde sie Valentín niemals einholen.
»Ich kann nicht bleiben«, sagte sie und hatte weiterhin nur Augen für ihre Erstgeborene. »Ich kann einfach nicht. Ich muss … ich muss doch zu ihm.«
In Claire regte sich Widerspruch, aber Espe gab ihr ein Zeichen, zu schweigen. »Wenn du willst, bringe ich mit Claire das Kind zu deinen Eltern«, verkündete sie.
Valeria nickte. Sie selbst sträubte sich zwar weiterhin, Zuflucht bei Rosa und Albert zu suchen, aber wenn das Kind überhaupt eine Überlebenschance hatte, dann dort und nicht bei ihr und Valentín.
»Du kannst doch nicht allein durch die Straßen gehen«, schimpfte Claire. »Was, wenn du ohnmächtig wirst?«
Die Hebamme schaltete sich ein: »Wenn man mich ausreichend dafür bezahlt, bin ich gerne bereit, ein Stück des Weges mitzugehen. Ich habe schon manche Frau gleich nach der Geburt aufstehen und wieder arbeiten sehen. Solange du nicht stark blutest, kannst du es schaffen.«
Claire schüttelte missbilligend den Kopf, war aber nach dem langen Tag wohl zu erschöpft, um weitere Einwände hervorzubringen. Sie fragte nur: »Was soll ich deinen Eltern sagen?«
Valeria überlegte kurz. »Wenn sie nach mir suchen lassen, werden sie womöglich auch Valentín finden, und das würde bedeuten, dass man ihn zurück ins Gefängnis bringt. Sag ihnen, dass ich bei der Geburt gestorben bin.«
»Es wird ihnen das Herz brechen …«
»Mir auch«, fiel Valeria ihr hart ins Wort.
Es war allen klar, dass sie nicht den endgültigen Abschied von der Familie und vom Leben, wie sie es kannte, meinte, sondern den Abschied von ihrer zweiten Tochter, die sie immer noch kaum angesehen, geschweige denn in den Arm genommen hatte.
Sie wickelte die Erstgeborene in warme Tücher.
»Bist du sicher, er ist es wert?«, fragte Claire leise.
Mit einem letzten Glucksen schlief das Kind an ihrer Brust ein. Es war so warm, so weich … so tröstlich. Sie musste dankbar sein für das, was sie hatte – und nicht mit dem hadern, was sie aufgab.
»Er allein vielleicht nicht«, murmelte sie, »aber an seiner Seite winkt die Freiheit.«
Sie verabschiedete sich nicht von Claire, denn sie zu umarmen hätte bedeutet, auch ihre zweite Tochter zu berühren. Sie drehte sich nicht einmal nach ihr um, doch als Espe ihr folgte und ihr das letzte Mal übers Gesicht strich, zuckte sie nicht zurück. Sie schloss kurz die Augen, labte sich an jenem sanften Streicheln und schluckte ihre Tränen hinunter.
28. Kapitel
C laire hatte keine Ahnung von Neugeborenen, aber sie rechnete jeden Augenblick damit, dass dieses gleich sterben würde. Die Lippen waren leicht bläulich, und bei jedem Atemzug, der stets etwas röchelnd klang, erschienen kleine Speichelbläschen in den Mundwinkeln. Sie hielt es fest in einer Decke eingewickelt, denn Wärme war das Einzige, was sie ihm geben konnte – ansonsten wagte sie sich kaum zu rühren, aus Angst, etwas falsch zu machen. Die Vorstellung, dass das Kleine in ihren Händen starb, war unerträglich, aber zugleich hoffte sie von Herzen, der Todeskampf wäre rasch vorbei.
Wie gerne hätte sie die Verantwortung für das Kind abgegeben, anstatt zuzusehen, wie es immer schwächer und schwächer wurde! Doch es wie seine Mutter aufzugeben, wäre ihr wie ein Verrat vorgekommen.
Nun, zumindest musste sie ihre Last nicht
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