Die Rosen von Montevideo
Kinder aufgeben müssen, aber zumindest bestand die Hoffnung, dass sie bald mit Valentín vereint sein würde. Ob sie überhaupt noch daran dachte, welches Opfer sie ihrer Cousine abverlangt hatte?
Mit kalter Stimme erklärte sie: »Valeria ist tot. Sie hat die Geburt nicht überlebt.«
Sie wusste zwar, dass diese Botschaft ganz in Valerias Sinne war, aber ihre Worte fühlten sich doch wie Rache an – eine kleine, schäbige Rache, die sie nicht trösten und das Verlorene nicht wiederbringen würde, der sie aber bedurfte, um dem Gefühl von Ohnmacht und Trostlosigkeit einen Funken Trotz entgegenzusetzen.
Ehe Rosa und Albert etwas sagen konnten, floh sie und lief in ihr Zimmer.
Dort warf sie sich aufs Bett und weinte, bis sie keine Träne mehr hatte.
»Ach Luis«, seufzte sie erschöpft, »Luis …«
Als es an der Tür klopfte, erwartete sie, dass Rosa und Albert ihr nachgekommen wären und sie mit vielen Fragen überhäufen würden, doch stattdessen betrat Espe den Raum.
»Die beiden sind völlig zerstört«, sagte sie.
Claire kniff die Lippen aufeinander: »Valeria wollte es doch so.«
»Ich weiß.«
Espe schien auch zu wissen, welcher Schmerz in ihr wütete, sagte jedoch nichts dazu.
»Ich werde Rosa beistehen, so gut ich kann«, verkündete sie lediglich. »Und ich werde helfen, das Kind aufzuziehen. Es lebt noch. In ihm steckt mehr Kraft, als sich vermuten ließ.«
Claire nickte erleichtert. Sie fühlte sich nicht in der Lage, sich selbst Valerias Tochter anzunehmen. Der Anblick des Kindes, so rührend er war, würde sie immer an die verlorene Liebe und an die verlorene Cousine erinnern. Vielleicht konnte sie ihm irgendwann einmal eine gute Tante sein – jedoch keine Mutter.
Espe legte ihre Hand auf Claires Unterarm, und kurz stiegen neue Tränen hoch, aber dann unterdrückte sie das Schluchzen.
»Was wirst du nun tun?«, fragte Espe. »Folgst du deinem Vater nach Hamburg zurück?«
Eine Weile senkte sich Schweigen über sie.
»Nein, ich werde hierbleiben«, erwiderte Claire unwillkürlich. Obwohl sie kaum darüber nachgedacht hatte, fühlte sich der Entschluss richtig an.
Sie wusste, sie würde Luis nicht zurückgewinnen können, aber sie wusste auch, dass sie an keinem anderen Ort der Welt sein wollte als dort, wo sie zumindest die Erinnerung an ihn lebendig halten konnte. Wie genau sie leben würde, wo und wovon, würde sich zeigen müssen. Sicher war nur, dass es ein einsames Leben war, das sie vor sich hatte.
»Du bist schuld! Du bist schuld an ihrem Tod!«
Seit Jahren hatte sie nicht mehr so laut geschrien, doch jetzt genügte ihr Schreien nicht, um ihrer Verzweiflung Herr zu werden. Am liebsten hätte Rosa auch auf Julio eingeschlagen oder so fest auf den Boden aufgetreten, bis sie ein Loch hineingestampft hätte. Lange Jahre hatte sie ihr Temperament gezügelt und die perfekte Bankiersfrau abgegeben, aber die Nachricht von Valerias Tod hatte das Mädchen von einst zum Leben erweckt, das seine Gefühle nicht bezähmen konnte.
Julio hatte kurz verlegen, gar schuldbewusst gewirkt, doch je länger sie wütete, desto abfälliger wurde seine Miene. »Warum soll ausgerechnet ich an ihrem Tod schuld sein? Sie hat sich doch von diesem Tier schwängern lassen! Ein wohlerzogenes Mädchen hätte sich nie so weit herabgelassen. Meine Tochter weiß im Gegensatz zu deiner, was sich gehört, nicht wahr, Isabella?«
Isabella, die wie alle anderen Familienmitglieder Zeugin der Auseinandersetzung geworden war, duckte sich, als wollte sie sich so klein wie möglich machen. Bei der Nachricht von Valerias Tod war sie in Tränen ausgebrochen. Leonora dagegen blickte triumphierend, während sie bei Rosas Ankunft die Schwägerin noch voller Neid angestarrt hatte.
»Du und dein Weib, ihr habt ihr keine andere Wahl gelassen, als zu fliehen!«, ereiferte sich Rosa.
»Wie sonst hätten wir mit dem aufmüpfigen Mädchen verfahren sollen?«, wehrte sich Julio.
Alejandro hatte bis jetzt leise auf dem Stuhl gesessen. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er sein Zimmer verlassen, und Rosa war eigentlich froh gewesen, dass er sich ein wenig von seinem Schlaganfall erholt hatte. Doch als sie ihn da hocken sah, mit schiefem Mundwinkel und kaltem Blick, hätte sie ihn gerne beschimpft wie Julio.
»Ihren Widersinn hatte sie von dir«, schaltete er sich ein, »früher wussten wohlerzogene Töchter noch, wie man sich benimmt.« Er sprach nuschelnd, aber verständlich.
So krank kann er gar nicht sein, dass er nicht
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