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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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beweisen, dass sie sein Lob verdiente. Sie überlegte gar nicht erst, was sie da tat, sondern stellte sich auf die Zehenspitzen, hob ihren Kopf und hauchte einen Kuss auf seine Lippen.
    Sie fühlte, wie er kurz erstarrte, doch dann erwiderte er den Kuss. Hatte sie nur vorsichtig ihre Lippen auf seine gepresst, drängte sich seine Zunge nun in ihren Mund, fordernd und so ungestüm, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen. Es war eher schmerz- als lustvoll, und Tabitha zuckte beinahe zurück, aber dann bezwang sie ihre Scheu, genoss die Hitze, die er in ihr entfachte, und sog seinen Geruch ein, nach Tabak und geräuchertem Fleisch. Sie dachte, ihre Lippen würden gleich platzen. Sie dachte auch: Wie ich ihn liebe!
     
    In den nächsten Tagen aß und schlief Tabitha kaum. Erstaunlich war, dass sie sich dennoch nicht entkräftet fühlte, sondern alles intensiver und wacher erlebte als je zuvor. Ihre Kleider fingen am ohnehin schon schlanken Leib zu schlottern an, und sogar die sonst so gleichgültige Leonora machte sich Sorgen. Sie konnte nicht verstehen, dass man freiwillig auf Essen verzichtete, und wollte schon den Arzt holen, aber Tabitha erklärte, dass sie sich gut fühlte.
    »Deine Augen glänzen, als hättest du Fieber«, sagte Leonora misstrauisch.
    »Aber ihre Wangen sind von einem gesunden Rosa«, hielt Isabella entgegen.
    Tabitha war dankbar, dass sie von ihr Hilfe bekam – aber auch misstrauisch. Ob sie womöglich gar von ihrem Geheimnis wusste? Selbst eine gutmütige Frau wie Isabella würde wohl nicht dulden, dass sie regelmäßig einen Stallknecht küsste, doch ihr vertrauliches Zwinkern war ein Beweis, dass sie zumindest um ihre Verliebtheit wusste – und diese zu unterstützen gedachte.
    Zunächst traf Tabitha José regelmäßig im Stall bei Diablo, aber irgendwann wurde ihr der Bretterverschlag zu eng. Sie erklärte, dass sie reiten lernen wollte, und niemand widersprach dem Ansinnen. Zunächst drehte sie – angeleitet von José – im Hof die Runden, später, als sie die Furcht vor den Tieren besser zu unterdrücken lernte, etwas außerhalb der Stadt in der Nähe der Rennbahn. Jeden Tag lernte sie etwas besser reiten – und etwas besser küssen.
    Josés Geruch wurde ihr vertraut, doch wenn er mit seinen starken Händen ihren Leib umfasste, fühlte sie stets aufs Neue ein Kribbeln im Bauch. Sie sprachen nicht viel, denn es gab wenig, was sie sich zu erzählen hatten: Sie wusste von ihm, dass er Pferde liebte, und er von ihr, dass sie ein Töchterchen aus gutem Haus war, das musste genügen. Besser war, all das Trennende gar nicht erst auszusprechen. Besser war auch, sich keine Gedanken über die Zukunft zu machen. Sie genoss jeden einzelnen Augenblick und hätte ihn am liebsten für immer festgehalten – zugleich verging die Zeit wie im Rausch, so dass sie nicht sicher war, ob nach dem Kuss erst eine Woche oder schon ein ganzer Monat vergangen war, als eines Tages Leonora nach der Rückkehr vom Reitunterricht auf sie wartete. »Dein Onkel will mit dir sprechen«, erklärte sie mit dem Anflug eines Grinsens, das Tabitha nicht recht deuten konnte. War es freundlich oder höhnisch?
    Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Julio wieder von seiner Geschäftsreise zurückgekehrt war, und bis jetzt hatte sie nur selten sein Arbeitszimmer betreten. Es erinnerte an das ihres Großvaters, nur dass die Möbel noch dunkler und die Wände nicht rot tapeziert, sondern weiß gekalkt waren. Zu ihrer Überraschung traf sie Julio nicht allein dort an, sondern in Gesellschaft eines jungen Mannes.
    »Wie gut, dass du hier bist!«, rief Julio. Nie hatte sie ihn so überschwenglich reden hören. »Darf ich dir Alonso Martínez vorstellen?«
    Tabitha ließ sich die Hand küssen und musterte den jungen Mann flüchtig. Ein kurzer Blick genügte, um zu erkennen, dass er einer jener langweiligen, steifen Männer mit Gehrock und Spazierstock war, die mit blasiertem Gesicht die Europäer zu imitieren versuchten und dabei oft unfreiwillig lächerlich wirkten.
    Sie wollte sich schon wieder zum Gehen wenden, als Julio sie darum bat, Platz zu nehmen. Ihre Verwirrung wuchs, als er überdies erklärte, welche Art von Geschäften er mit Alonso betrieb.
    »Alonso ist Teilhaber der Liebig Extrakt and Meat Company Limited«, begann er.
    Tabitha sah ihn fragend an.
    » 1864 wurde die Company zur Herstellung von Fleischextrakt gegründet. Sie geht auf die Initiative eines deutschen Kaufmanns zurück. Mittlerweile hat sie sich zum

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