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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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wegwerfender Geste. »Vater war verzweifelt auf der Suche nach einem geeigneten Mann, der mich von der Schande befreite, altjüngferlich zu sterben. Sebastian hat mich nur geheiratet, weil er in den Krieg ziehen würde und dort Erinnerungen brauchte, um sich daran zu laben. Und gemessen an Blut und Tod, war wohl jede Erinnerung schön – auch die an mich.«
    »Sag so etwas nicht! Bestimmt hatte er dich gern.«
    Sie war sich nicht sicher, ob das der Wahrheit entsprach. Isabella war mit ihrer fahlen Haut, dem mittlerweile grauen Haar und dem schmalen Gesicht keine Frau, deren Anblick die Herzen der Männer höherschlagen ließ. Allerdings war sie so freundlich, geduldig, hilfsbereit …
    Nun schwieg sie in Gedanken versunken.
    »Vermisst du ihn?«, fragte Tabitha.
    Isabella zuckte die Schultern. »Ich vermisse die Liebe. Und manchmal stelle ich mir vor, wie mein Leben an seiner Seite verlaufen wäre. Vielleicht wäre ich einmal nach Europa gereist: Die Menschen sind dort eleganter gekleidet, mit Seide statt Wolle, die Straßenbahnen fahren schneller, die Parks sind größer. Zumindest habe ich mir das sagen lassen. Montevideo mag noch so sehr Städten wie Paris nacheifern – es wird doch nie an dortigen Prunk heranreichen.«
    Ihre Stimme nahm einen schwärmerischen Tonfall an, und aus jedem Wort sprach die Sehnsucht, aus Montevideo fortzukommen.
    »Besuch uns doch einmal im Taunus – Großpapa hat bestimmt nichts dagegen.«
    »Ach was, die Reise dauert viel zu lange. Und ich bin viel zu alt.«
    Sie sah nicht alt aus – vielmehr hatte Tabitha den Eindruck, sie hätte sich seit ihrer Kindheit kaum verändert.
    »Aber wenn du doch so über Langeweile klagst, musst du etwas dagegen tun!«, rief Tabitha und konnte nicht verstehen, warum die andere nicht für ihre Träume kämpfte. Vielleicht, weil sie dann herausfinden würde, dass Städte wie Paris kein Schlaraffenland waren, sondern es auch dort Dreck und Armut gab?
    »Du kommst doch so gut wie nie aus dem Haus!«, fügte sie hinzu.
    »Das ist nicht wahr«, sagte Isabella schnell. »Ich besuche des Öfteren deine Tante Claire. Auch sie lebt zurückgezogen, fühlt sich oft einsam und freut sich über jede Abwechslung. Sie erzählt mir viel über Europa, und obwohl sie seit langem hier lebt, ist sie sehr belesen.«
    Isabellas Augen glänzten ehrfürchtig.
    Tabitha lehnte sich zurück.
    Isabella war herzensgut, aber sie konnte ihr letztlich nicht helfen. Trotz allem stand sie treu zu ihrer Familie und hätte nie gewagt, sich Leonoras Einflussbereich zu entziehen. Wer sie bedingungslos unterstützt hätte, wäre Espe – der gute Geist ihrer Kindheit, der erst Rosa, später Valeria, schließlich sie selbst aufgezogen hatte. Espe war immer zur Stelle gewesen, wenn man sie brauchte, hatte sich jedoch nie von sich aus eingemischt oder ihre Meinung ungefragt geäußert. Tabitha war sich sicher: Sie würde auch jetzt nichts Abfälliges über José sagen, sondern ihre Liebe vorbehaltlos unterstützen. Doch Espe war vor zwei Jahren gestorben. Nie hatte sie ihre Großmutter so herzzerreißend weinen gesehen wie damals – und ihr selbst wurde die Kehle eng, wenn sie daran dachte. Sie schüttelte den Kopf. Noch bedrückender als die Erinnerung an Espe war der Gedanke an die Zukunft. Wer konnte ihr helfen?
    Isabella hatte Tante Claire erwähnt …
    In diesem Jahr hatte sie sie erst ein Mal besucht, aber als Kind war sie häufiger in ihrer Quinta zu Gast gewesen. Sie hatte sie immer gemocht, denn Claire wusste spannende Geschichten zu erzählen und war herrlich unkonventionell: Sie ging halbnackt baden, behandelte das Personal wie ihre Familie und besuchte ohne männliche Begleitung die Oper.
    Tabitha lächelte plötzlich. Ja, Tante Claire war ihre Rettung! Sie würde José gewiss nicht verachten.

32. Kapitel
    C arlota wollte es sich zwar nicht eingestehen, aber sie hatte schreckliche Angst. Selten hatte sie abends das Haus verlassen und schon gar nicht mitten in der Nacht. Allerdings war ihr nichts anderes übriggeblieben, als bis zur Dunkelheit zu warten: Die letzten Tage hatte sie Unmengen von Näharbeiten erledigen müssen, und sie hätte sich unmöglich fortstehlen können, ohne dass es der Mutter aufgefallen wäre. Also hatte sie heute gewartet, bis Valentín und Valeria eingeschlafen waren, und danach auf Zehenspitzen das Haus verlassen.
    Mitternacht war längst überschritten – und die Zeit gekommen, in der sich nur noch Gesindel herumtrieb. Sie hatte zwar ein

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