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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Tuch über ihre langen Haare gebunden, so dass man sie nicht sofort als Frau erkennen konnte, aber sie wusste: Sogar stattliche Männer waren nicht vor Dieben geschützt.
    Immerhin – sobald sie das Stadtzentrum hinter sich ließ und Claire Gothmanns Haus immer näher kam, wurden die Straßen menschenleerer und stiller. Hier und da kläffte ein Hund, kreischte ein Vogel und rauschte das Meer – sonst war kaum etwas zu hören. Es hatte länger als vermutet gedauert, Claires Wohnort ausfindig zu machen, und auch die Strecke dorthin hatte sie unterschätzt. Selbst auf direktem Weg wäre es wohl ein gut einstündiger Fußmarsch gewesen, aber da sie sich mehrmals verlief, war sie am Ende über zwei Stunden unterwegs.
    Montevideo war in den letzten Jahren gewachsen, und immer mehr Vororte waren mit dem Stadtkern verschmolzen, doch wenn man lange genug die Küste entlangging, landete man irgendwann in jener Gegend, wo es keine Baracken und dreckigen Gässchen mehr gab, sondern nur alte Quintas und Gärten.
    Tagsüber war es wahrscheinlich ein schöner Ort – doch jetzt wirkte er unheimlich: Das Meeresrauschen klang wie ein Grollen, und während es bei Sonnenschein verheißungsvoll war, auf die blauen, schaumgekrönten Fluten zu blicken, glich der Ozean nun einem schwarzen Sumpf, der jeden verschluckte, der hineingeriet.
    Vage erinnerte sie sich daran, dass sie einmal mit Valentín hier gewesen war. Er hielt sich gern am Strand auf und war hier geschwommen, während sie sich mehr für die Anwesen interessiert hatte. Nicht alle kündeten von Reichtum, aber selbst die heruntergekommenen verhießen größeren Wohlstand, als sie selbst je erlebt hatte, und sie hatte sich ausgemalt, wie es wäre, in einem dieser Häuser zu leben. In dieser Nacht sehnte sie sich weniger nach einem solchen als nach ihrem vertrauten Bett und einem sicheren Dach über dem Kopf, ganz gleich, wie lose seine Schindeln und wie morsch seine Balken waren. Doch es war zu spät, um umzudrehen, und wenigstens schien der Mond so hell, dass sie alles gut erkennen konnte.
    In den älteren, verwitterten Quintas, die von Ombú-Bäumen begrenzt waren, waren die Gärten meist verwildert: Birnen-, Äpfel- und Pflaumenbäume standen so dicht beisammen, dass man die von Unkraut überwucherten Wege kaum passieren konnte, ohne an einem der vielen Zweige hängenzubleiben. Dort, wo der Boden nicht mit Fallobst bedeckt war, hatte man Gemüse angebaut – Kohl und Kartoffeln, Erbsen und gelbe Wurzeln. Dergleichen suchte man bei neueren Quintas vergeblich: Die Blumenbeete waren quadratisch, die Hauswände frisch verputzt und die Bäume sorgsam beschnitten. Carlota hatte ihre Eltern einmal darüber reden gehört, ob Valentín in einer solchen Quinta wohl Arbeit als Gärtner finden könnte, doch ihr Vater hatte gemeint, dass hier nur Europäer eingestellt würden. Einheimische Tagelöhner stünden im Ruf, viel zu faul und nachlässig zu sein, um auf die Reinlichkeit der Gartenanlagen zu achten. »Und schon gar nicht will man einen Paraguayer in seinem Garten haben«, hatte er bitter geschlossen.
    Immer wieder war von seiner Nationalität die Rede, und immer wieder gab er dieser die Schuld, warum sie so arm waren. Als kleines Mädchen hatte Carlota begierig den Geschichten aus seiner Heimat gelauscht und Paraguay für ein Märchenland gehalten, wegen all der farbenprächtigen Blumen, die dort wuchsen, der vielen Papageien, die von den Bäumen schrien, und dem verwunschenen Dschungel mit riesigen Farnen und Blättern – aber mittlerweile sehnte sie sich danach, ganz und gar Deutsche zu sein wie ihre Mutter. Kein Land, hieß es, war so arm wie Paraguay nach dem Krieg – kaum so viel Reichtum hingegen zu finden wie in einer Stadt wie Frankfurt.
    Ob auch Tante Claire wohlhabend war, wusste sie natürlich nicht, aber eben hatte Carlota die gesuchte Adresse erreicht und stellte fest, dass auch sie großen Wert auf einen gepflegten Garten legen musste. Die Wege und Blumenbeete waren frei von Unkraut, die Hecken beschnitten, der Zaun war frisch gestrichen. Dennoch wirkte das Haus, dessen Wände fast gänzlich von Efeu überwuchert wurden, so verwunschen, als wäre ein unsichtbarer Schleier darüber gefallen, der die Zeit anhielt.
    Carlota musterte das Anwesen, und trotz der Erleichterung, endlich am Ziel zu sein, wuchs ihr Unbehagen. Bei Nacht wirkte der farbenfrohe Garten wie von einer Schicht Asche bedeckt, die Kaktushecke warf lange Schatten, die Bäume – Claire

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