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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sagte aber schließlich doch: »Ich denke, im südlichen Teil. Dort, wo sich die Massenquartiere für die Armen befinden und wo man die billigsten Unterkünfte findet.«
    Tabitha war so erleichtert, einen Hinweis bekommen zu haben, dass sie gar nicht überlegte, was es wohl für José bedeutete, so tief gesunken zu sein. Hauptsache, sie konnte ihn finden!
    Sie lief nach Hause, legte das Bündel Unterwäsche ab, das sie aus dem Schneidersalon abgeholt hatte, und überhörte geflissentlich Valerias Stimme, die von oben rief: »Carlota, bist du wieder da?«
    Schon stürmte sie nach draußen und kam im Hof an Mercedes vorbei, die sie misstrauisch betrachtete. »Wohin so eilig, Mädchen?«
    Tabitha ließ sie einfach stehen, besann sich dann aber anders, kehrte zurück und fragte nach dem Weg.
    Mercedes musterte sie von oben bis unten. »Was immer du dort verloren hast – es ist selbst für ein einfaches Mädchen wie dich nicht der rechte Ort.«
    Immerhin war sie bereit, ihr den Weg zu beschreiben, und sie stellte auch keine Frage, was sie dort wollte.
    Tabitha lief mit schnellen Schritten zu der Siedlung, und erst als sie sie erreichte, überwog das Entsetzen über die Armut die Begeisterung, Josés Aufenthaltsort zu kennen. Sie stand vor einem trostlosen Häuserblock mit Einzimmerunterkünften, an den sich diverse zweigeschossige Bauten anschlossen, die über einen vom Obergeschoss wegführenden Rundgang zu erreichen waren. Es stank entsetzlich nach Unrat und Urin; die Wände waren nicht verkalkt, sondern von gelblichen Flecken übersät, und in den Ecken hockten Schimmel und Spinnweben. Vor manchen der Zimmer war Wäsche aufgehängt worden – zerrissen oder nur notdürftig geflickt.
    Zu ihrem Entsetzen gesellte sich das schlechte Gewissen: Ihretwegen hatte José seine Anstellung verloren, keine andere gefunden und musste an einem so grässlichen Ort leben. Und sie würde mit leeren Händen vor ihm stehen und hatte nichts anderes zu bieten als ihre Liebe zu ihm und die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft.
    Sie schüttelte den Gedanken ab. Das Wichtigste war, dass sie ihn fand – und das war schwer genug: Schließlich hatte sie keine Ahnung, wo sie ihre Suche beginnen sollte. Nach einigem Zögern entschied sie, an einer der Türen zu klopfen, und als niemand antwortete, öffnete sie sie und geriet in einen winzigen Raum, in dem man kaum aufrecht stehen konnte. Dennoch lungerten gleich mehrere Männer auf den Pritschen herum, doch anstatt das Mädchen, das da plötzlich auftauchte, überrascht und neugierig zu mustern, starrten die, die gerade nicht schnarchend schliefen, blicklos durch sie hindurch. Der Gestank war hier noch durchdringender als im Gang. Tabitha wich zurück und schloss die Tür schnell wieder. Kurz lehnte sie sich an die Wand, um dem Schwindel Herr zu werden, der in ihr aufstieg. Am liebsten wäre sie geflohen, aber sie ging tapfer weiter – an den Gemeinschaftstoiletten, den Wasserzapf- und Kochstellen, den vielen weiteren winzigen Zimmern vorbei. Alles war zu klein, zu schäbig, zu eng. Die Farbe bröckelte ab, gelüftet war seit Ewigkeiten nicht mehr worden, und wenn hier einer krank wurde, hustete gewiss das ganze Stockwerk. Wenigstens hatte das Erdbeben kaum Spuren hinterlassen.
    Sie hatte schon fast die letzte Tür im Gang erreicht und niemanden getroffen, den sie nach José fragen konnte, als plötzlich laute Stimmen erklangen. Sie stammten von einer Familie aus der letzten Wohnung, die gerade dabei war, ihre Habseligkeiten einzupacken und aus dem Haus zu tragen. Der Sprache nach zu schließen, waren es Italiener – ein Ehepaar mit einem halbwüchsigen Sohn und ein paar kleineren Kindern, die so dürre Beine hatten, dass Tabitha sich fragte, wie sie überhaupt laufen konnten.
    Sie wirkten ungezügelt, aber freundlich, und als sie zögernd näher trat, sprach der Mann sie an.
    »Was machst du hier, Mädchen? Das hier ist kein guter Ort für eine wie dich. Es gibt zu viele unverheiratete Männer, die dir lästig werden könnten.«
    Tabitha zuckte nur müde mit den Schultern – all das Elend hatte sie nach der kurzen Zeit bereits so sehr abgestumpft, dass sie den Gedanken nicht mehr beängstigend fand wie noch vor wenigen Tagen.
    »Wir selbst ziehen endlich fort, haben nun ein kleines Häuschen außerhalb der Stadt. Wird zwar nun länger dauern, um zur Arbeit zu kommen, aber draußen gibt’s noch billige Grundstücke.«
    Er wirkte sichtlich stolz, weswegen er es wohl auch so freimütig

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