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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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erzählte, und sie fasste den Mut, nach José zu fragen.
    »Amendola, sagst du, heißt er? Nun, dann suchst du wohl unseren Nachbar – er wohnt gleich im Zimmer neben uns.«
    Tabitha war fassungslos, dass ein Ehepaar mit so vielen Kindern in einem der winzigen Zimmer lebte, aber dann sagte sie sich, dass das nicht ihre Sorge sein sollte.
    Sie hastete auf die Tür zu, in deren Richtung der Italiener gewiesen hatte. Auch deren Holz war morsch, und als sie daran klopfte, bekam sie keine Antwort. Sie rief mehrmals Josés Namen – immer noch nichts. Schließlich atmete sie tief durch, öffnete die Tür und trat ein.
    Zunächst war es so dunkel, dass sie kaum etwas erkennen konnte. Die einzige Luke, die das Zimmer hatte, war mit einem Balken zugenagelt worden, wohl um Hitze und Gestank von der Straße fernzuhalten. Die Wände waren voller Schimmel, der Boden war aus gestampftem Lehm, in dem Pfützen standen – wohl Regenwasser, das durch die Holzritzen getropft war. Immerhin gab es hier nur eine Pritsche und eine leere Transportkiste für alle Habseligkeiten.
    Auf der Pritsche rührte sich plötzlich etwas. Schlaftrunken fuhr José hoch, rieb sich die Augen, erkannte sie aber nicht.
    »Wer da?«, knurrte er.
    »José, ich bin es … Tabitha.«
    Schlagartig wurde er wach und sprang auf. »Was, zum Teufel, machst du hier?«, rief er entgeistert.
    Im fahlen Licht wirkte er blass und dünner, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie musste ebenfalls einen verlotterten Anblick bieten, denn er musterte sie mit wachsendem Entsetzen.
    »Wie kommst du hierher? Wie siehst du überhaupt aus? Und was …«
    Er brach ab.
    »Ich …«, setzte sie hilflos an.
    Erst wusste sie nicht, was sie sagen sollte, dann brach alles zusammenhangslos aus ihr heraus: wie sie das Erdbeben erlebt hatte und der bislang fremden Schwester begegnet war, wie sie von den totgeglaubten Eltern erfahren und mit Carlota die Rollen getauscht hatte, wie sie das Krankenhaus verlassen und das Haus von Valentín und Valeria gesucht hatte – und das alles nur, um eine Zukunft mit ihm zu haben.
    »Und nun … nun bin ich eben hier.«
    Ihre Stimme war immer leiser, immer verzagter geworden, zumal er nichts sagte, sondern sie nur fassungslos ansah.
    »Du hast mit den de la Vegas’ gebrochen?«
    »Nun ja, nicht wirklich – schließlich lebt Carlota jetzt an meiner statt bei ihnen. Vielleicht ist sie schon nach Deutschland aufgebrochen.«
    »Aber wie konntest du nur auf all diesen Reichtum verzichten?«, rief er bestürzt.
    »Reich zu sein ist doch nicht so wichtig. Hauptsache, ich bin mit dir zusammen. José, ich … ich liebe dich doch …«
    Ihre Stimme brach.
    Er erwiderte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf.
    Die Enttäuschung überwältigte sie. Sie ertrug den Anblick nicht länger, ertrug auch dieses erbärmliche Loch nicht. Sie eilte hinaus und stolperte tränenblind den Gang entlang. Von der italienischen Familie war nichts mehr zu sehen – nur aus weiter Ferne ertönte noch das Geschrei der Kinder.
    Der Weg bis zum Haupteingang kam ihr endlos vor. Als sie ihn endlich erreicht hatte, hörte sie Schritte hinter sich.
    »Tabitha, so warte doch!«
    Immer noch verschleierten Tränen ihren Blick. Sie sah José nicht, fühlte nur, wie er sie zurückriss.
    »Ich habe doch alles nur für dich getan«, schluchzte sie.
    Kurz blieb er unschlüssig vor ihr stehen, dann zog er sie an sich. »Das weiß ich doch …«
    Dass er es auch guthieß, sie dafür bewunderte, ihr dankbar war, sagte er nicht, aber das war nicht mehr so wichtig. Wichtig war nur, dass er sie nun küsste, sie seine harten Lippen spürte, seinen betörenden Geruch einsog. Dass sie nicht länger den schrecklichen Gestank roch, nur ihn, der nach Weite und Wind und Sonne duftete.
    »Meine kleine Tabitha. Meine dumme, kleine Tabitha.«
    Er hielt sie für dumm? Nun, immerhin zog er sie mit sich zurück in das Zimmer.
    »Was … was wird denn nun?«, fragte sie. Erst jetzt konnte sie sich eingestehen, dass sie sich nicht nur erhofft hatte, bei ihm Liebe zu finden, sondern eine Lösung, wie sie das Elend bei Valentín und Valeria hinter sich lassen konnte. Sie hatte nicht ausreichend bedacht, dass er in noch größerem Elend lebte.
    Er zuckte die Schulter und blieb die Antwort schuldig, aber er küsste sie wieder. Etwas anderes hatte er nicht zu bieten, also musste sie sich damit begnügen, das zu nehmen – das und noch mehr.
    Sie wehrte sich nicht, als er sie zur Pritsche zog, seine Lippen

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