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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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würde sich womöglich schmerzhaft verbrennen.
    Auch jetzt fragte sie nicht nach, doch Espe setzte sich zu ihr ans Bett und begann zu erzählen.
    »Mein Stamm lebte in der Nähe der Grenze zu Brasilien. Und dort arbeiten, wie du weißt, viele Negersklaven.«
    »In Uruguay ist es verboten, Menschen zu versklaven.«
    »Ja – und deswegen flohen die Schwarzen reihenweise aus Brasilien. Ihre Besitzer schickten Sklavenjäger hinterher, und einer von ihnen hatte meinen Stamm im Verdacht, den Flüchtigen Unterschlupf zu bieten. Zumindest hat er das als Vorwand genommen, mit einer Truppe Soldaten unsere Siedlung zu überfallen, die Hütten niederzubrennen und alle Männer zu entführen, auf dass sie die Schwarzen ersetzten.«
    »Aber das war doch gegen das Gesetz!«
    »Wer in Uruguay hätte schon für mein Volk Partei ergriffen?«, fragte Espe verächtlich. Sie blickte auf ihre Hände, und ihre Stimme wurde dunkel und tief, als sie knapp hinzufügte: »Wer sich wehrte, wurde getötet.«
    »Zählte auch deine Familie zu den Opfern?«
    Espe schluckte schwer, bevor sie nickte. »Meine Schwester hatte das zweite Gesicht. Sie sah das Unheil kommen und wollte alle warnen, aber niemand hörte auf sie. Ich habe ihr auch nicht geglaubt, doch am entscheidenden Tag lotste sie mich von unserem Dorf weg, und so konnten wir uns in einem Wald verstecken, als die Truppe kam. Aus der Ferne haben wir zugesehen, wie meine Brüder, mein Vater, ihr künftiger Mann und auch meiner entweder starben oder verschleppt wurden. Meine Mutter war so verzweifelt, dass sie sich selbst getötet hat. Viele Frauen folgten diesem Beispiel.«
    Sie verstummte.
    »Wie schrecklich! Wie grauenhaft!«, rief Rosa. »Und dann?«
    »Als die Brasilianer weg waren, haben meine Schwester und ich uns zurück ins Dorf gewagt und dort festgestellt, dass es sich nicht lohnte, die Hütten wieder aufzubauen. Wir stießen auf zu wenig Überlebende, als dass unsere Sippe eine Zukunft gehabt hätte. Deswegen haben wir entschieden, den Ort zu verlassen. Meine Schwester hat Unterschlupf bei einem anderen Stamm gefunden, doch ich hatte Angst, dass ich das gleiche Schicksal erneut erleiden müsste, bliebe ich bei ihnen, und so bin ich nach Montevideo aufgebrochen, um ein ganz neues Leben zu beginnen.«
    Ihre Miene kündete nicht von Schmerz und Verzweiflung, sondern war nüchtern wie eh und je.
    »Siehst du, so bist du!«, erwiderte Rosa, und trotz ihres Mitleids klang Empörung durch ihre Stimme. »Du erwähnst nicht einmal, wie groß die Trauer gewesen sein musste – als wäre es das Leichteste der Welt gewesen, das zu tun, was zwar vernünftig war, dir aber zugleich das Herz brechen musste.«
    Espe ging nicht darauf ein. »Deine Mutter hat mich in ihre Dienste genommen. Sie war gerade aus Valencia in die Stadt gekommen und brauchte eine Dienerin. Ich werde ihr nie vergessen, dass sie mir Arbeit gab und überdies stets gut zu mir war.«
    Ja, Gefühle von Dankbarkeit, Treue, Hingabe waren Espe gewiss nicht fremd. Wie aber war sie der dunklen Empfindungen Herr geworden? Wie hatte sie nach dem Grauen weitermachen können?
    Rosa stellte die Frage nicht laut, sah sie nur lauernd an.
    »Weißt du«, murmelte Espe nach langer Stille, »auf dieser Welt gibt es nur wenig, was wir beeinflussen können. Meine Schwester hatte, wie gesagt, die Gabe des zweiten Gesichts. Aber die gab ihr nur die Macht, die Zukunft vorherzusagen, nicht, sie zu wenden. Niemand kann das. Zu vieles geschieht, das wir ohnmächtig ertragen müssen. Unschuldige sterben, und Bösewichte kommen davon, Arme werden ihres wenigen Besitzes beraubt, die Reichen noch reicher, Kinder verhungern, Frauen bricht man das Herz, Männer fallen im Krieg. Die Welt ist kein schöner Ort. Sie ist ein reißender Fluss voller Strudel; manche gehen darin gänzlich unter, die meisten werden zumindest von den Fluten mitgerissen. Nur dann und wann stoßen wir mit unseren Zehenspitzen auf den Grund oder können uns an einem Ast festhalten. Und in diesen seltenen Augenblicken liegt es an uns, mit ganzer Kraft zuzupacken.«
    »Das also ist deine Weisheit«, murmelte Rosa betroffen. »Nicht unter dem zu leiden, was wir ohnehin nicht ändern können …«
    Espe nickte. »Wie wir leben, können wir meist nicht bestimmen. Nur ob wir leben oder aufgeben – das ist unsere Entscheidung. Und wenn man sich fürs Weiterleben entscheidet, so meine ich, dass man sich die Zukunft nicht von der Vergangenheit vergällen lassen darf. Auch, dass man besser

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