Die Rosen von Montevideo
»Fabien ist …«
Alberts Hand legte sich auf ihren Mund, um sie am Sprechen zu hindern. »Still, so sei doch still!«, rief er und deutete panisch auf Carl-Theodor, der ihren Worten verwirrt lauschte.
Sie wusste, auch er tat gut daran, den Unfall … den Mord zu vertuschen, doch der Hass auf ihn war noch größer als der Zorn auf Espe. Sie schlug seine Hand weg. Sie würde sich nie wieder von ihm berühren lassen.
Zwar sprach sie Fabiens Namen nicht noch einmal aus, aber sie sagte kalt: »Du bist an allem schuld.«
Albert wirkte erschöpft und verzweifelt. »Du«, stammelte er, »du hast mich doch mit ihm betrogen.«
Sie stritt es nicht einmal ab. Selbst wenn es so gewesen wäre, dachte sie, hätte er dennoch kein Recht dazu gehabt, den Nebenbuhler herauszufordern und jene Kette an Unglücksfällen in Gang zu bringen. Sie setzte zu einer wütenden Entgegnung an, doch Carl-Theodor trat zwischen sie.
»Mutter«, stammelte er, »ich kann Mutter nirgendwo sehen. Offenbar ist sie noch im Haus.«
Im Haus, dessen Dachstuhl jetzt unter lautem Ächzen nachgab und dessen Wände unter dem Gewicht zusammenbrachen wie ein Kartenhaus. Eine Wolke aus Rauch, Ruß und Holzteilen verschluckte sie. Blind begann Rosa zu laufen. Als sie endlich stehen blieb, war die Luft nicht mehr so heiß und etwas klarer, aber ihre Kehle schmerzte, als hätte sie Glasscherben geschluckt. Obwohl sie Valeria an sich gepresst hielt, klang ihr Schreien so, als käme es von weit her.
Rosa wusste später nicht mehr, wer ihr das Kind abnahm, die beiden Mädchen fortbrachte und was sie und Albert bis zur Dämmerung taten.
Als die Morgensonne aufstieg, das Ausmaß der Zerstörung offenbar wurde und das Feuer endlich erlosch, wusste sie nur, dass nicht zuletzt ihretwegen zwei Menschen in dieser Nacht gestorben waren – und mit ihnen ein großer Teil ihrer Seele.
11. Kapitel
R osa konnte nicht essen, nicht sprechen, nicht schlafen. Sie zwang sich zwar dazu, regelmäßig etwas zu trinken, aber sie hatte nicht das Gefühl, ihren Durst zu stillen. In ihr war ja doch nur Wüste; nirgendwo war da ein Stückchen fruchtbarer Boden, auf dem Lebendiges sprießen konnte.
Erst einige Tage nach dem Brand erwachte etwas in ihr, was noch Überbleibsel vom einstigen Überschwang an Gefühlen bewies: Neid. Zu ihrem Erstaunen richtete er sich auf jemanden, der ihn eigentlich am wenigsten verdiente oder provozierte – auf Espe.
Rosa beobachtete sie und stellte mit zunehmendem Befremden fest, dass nie auch nur der geringste Ausdruck von Entsetzen, Trauer oder Betroffenheit in ihrem Gesicht stand – nur Mitgefühl, und nicht einmal das ging bis zum Grund dieser dunklen Augen. Sie war durch und durch beherrscht, verzichtete zwar darauf, Rosa zu massieren wie früher, weil sie wohl ahnte, dass sie keine Berührung ertragen konnte, redete jedoch ruhig und bestimmt auf sie ein.
»Du musst Haltung bewahren, denk an Valeria, bestätige der Polizei, was Albert gesagt hat. Bei der Beerdigung von Adele darfst du ruhig weinen, aber nicht allzu fassungslos sein. Man könnte misstrauisch werden …«
Eine Weile hörte ihr Rosa stumm zu, doch als Espe ihre Mahnungen ständig aufs Neue wiederholte, wurde sie ärgerlich – und fand die Sprache wieder. »Warum bist du so besonnen? Warum so … kalt? Warum konntest du schon in dieser schrecklichen Nacht befehlen, was zu tun war? Gewiss, Fabien stand dir nicht nahe, aber … aber …« Ihre Stimme zitterte bedrohlich, doch anstatt in Tränen auszubrechen, atmete sie tief ein und fügte vorwurfsvoll hinzu: »Zwei Menschen starben – und es scheint, dass keinen Augenblick lang dein Herz auch nur ein wenig unruhiger pocht.«
Espe hielt ihrem Blick gelassen stand. »Nun, Fabien war nicht der erste Mensch, den ich sterben gesehen habe«, sagte sie leise.
Rosas Ärger machte der Verwirrung Platz. Sie wusste nicht mehr über Espes Vergangenheit, als dass sie ihrer Mutter treu gedient hatte und von Indianern abstammte. Als Kind hatte sie sich oft ausgemalt, wie Espe einst inmitten einer furchterregenden Wildnis in einem Zelt geschlafen hatte, doch nie hatte sie nachzufragen gewagt, wie ihr Leben tatsächlich ausgesehen hatte, ehe sie in den Dienst der de la Vegas’ getreten war. Nicht dass sie nicht neugierig gewesen war – aber trotz aller Wärme in den dunklen Augen hatte Espe immer auch ein wenig unnahbar gewirkt. Wer den Bannkreis überschritt, den sie zwischen sich und der Welt zog, so hatte Rosa stets vermutet,
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