Die Rosen von Montevideo
Eindruck, doch in Wahrheit tuschelte ganz Frankfurt darüber, dass die beiden heimlich rauchten – nicht etwa Zigaretten, sondern Zigarren.
»Herr Gothmann, wie schön, dass Sie und Ihre Familie trotz des tragischen Unglücks gekommen sind!«, rief ihnen Charlotte entgegen. »Ich kann Ihnen versichern, unser Mitgefühl ist ganz bei Ihnen. Vielleicht hilft der heutige Abend, Sie ein wenig aufzumuntern. Zumindest die Musik könnte dazu beitragen. Robert Schumann zählt heute zu unseren Gästen. Und der berühmte Sänger Rubini wird auftreten.«
Ehe Albert etwas erwidern konnte, trat Rosa vor.
»Das freut mich außerordentlich«, sagte sie mit dieser fremden, ausdruckslosen Stimme. »Von Schumann hört man, dass er seine dritte Sinfonie in Es-Dur in nur einem Monat komponiert hat. Die Uraufführung in Düsseldorf war ein großer Erfolg, auch wenn man ihm nachsagt, dass er mit dem rheinischen Temperament nicht recht warmwird. Ich habe gehört, dass Sie häufig Musiker in Ihrem Haus empfangen. Wie schade, dass Herr Mendelssohn-Bartholdy nicht mehr unter den Lebenden weilt. Sein Tod kam viel zu früh.«
Alle starrten sie an. Als Charlotte Rothschild und ihre Töchter sich den nächsten Gästen zuwandten, lachte Antonie auf. »Du hast dich in der Tat gründlich vorbereitet.«
Rosa erwiderte ihr Lächeln auf schale Weise, sagte aber nichts.
Albert konnte seinen Blick nicht von ihr nehmen. Wo war sie hin – die schwermütige Rosa, die weinende, die verzweifelte? Wo war sie hin – die lebenslustige, lebendige, lachende? Wer war dieses so vollkommen kontrollierte, nüchterne Wesen unter ihrer Maske?
Er schwankte zwischen Faszination, Entsetzen und Trauer. Er ahnte, fortan würde sie ihre Rolle perfekt spielen – aber nicht aus Liebe zu ihm, sondern weil ihr keine andere Wahl blieb. Sie konnte ihn nicht des Mordes anklagen, konnte nicht ihre Scheidung durchsetzen und ihn verlassen, weil darunter nicht nur ihr Ruf, sondern vor allem der von Valeria gelitten hätte. Um der Tochter willen würde sie nach außen hin eine vorzügliche Ehefrau abgeben – doch nichts mehr mit dem Herzen machen, mit Leidenschaft, mit Freude.
Charlotte Rothschild sagte etwas, und Rosa antwortete. Er verstand es nicht, aber es musste klug und geistreich sein, denn Antonie lachte wieder auf, und Carl-Theodor nickte anerkennend.
Er selbst konnte nur denken: Ich habe sie getötet. Ich habe sie genauso getötet wie Mutter und Fabien Ledoux.
Es war spät am Abend, aber Rosa konnte immer noch nicht schlafen. Eine Weile ging sie in ihrem Schlafgemach auf und ab, dann hielt sie es nicht mehr aus und schlich nach unten in den Salon. Erst jetzt fiel ihr ein, dass beim Brand ihres Landhauses auch die farbenfrohe Tapete, die ein fernes Land zeigte, zerstört worden war. Hier in der Neuen Mainzer Straße waren die Wände grau und nüchtern.
Zum ersten Mal seit der Katastrophe traten Tränen in ihre Augen. Das Landhaus würde wieder aufgebaut werden, aber nie wieder würde sie jene Wandtapete betrachten und sich kurz in ihre Heimat versetzt fühlen.
Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken, und rasch schluckte sie ihre Tränen herunter. Noch ehe sie sich umdrehte, ahnte sie, dass Albert hinter ihr stand – wie sie unfähig, Schlaf zu finden. Auf seinen trostlosen Anblick war sie jedoch nicht vorbereitet. Seine Haare, ansonsten schön frisiert, standen nach allen Seiten ab. Sein Blick war glasig, seine Schritte gerieten schwankend.
Als er auf sie zuging, wollte sie am liebsten zur Treppe nach oben flüchten.
»Bitte!«, rief er flehentlich. »Bitte bleib!«
Sie erstarrte.
»Rosa … was ich dir sagen wollte …« Seine Zunge stieß beim Reden an seine Zähne an. »Ich danke dir … dein Auftritt … wie vornehm … du …«
Er rang nach Worten.
»Ich weiß«, sagte sie schlicht.
Er senkte seinen Blick. »Nur deinetwegen ist der Name Gothmann nicht beschmutzt. Ich meine … dass du wegen Fabiens Tod geschwiegen hast, das ist … das war …«
Sie hob abwehrend die Hände. Erst jetzt merkte sie, wie kalt ihr war. Sie hatte noch nie so gefroren wie jetzt, nicht einmal in jener Nacht, da sie ins Freie geeilt war, um das Duell zu verhindern.
»Sprich seinen Namen niemals aus!«
Albert ließ die Schultern hängen. »Ich habe Fehler gemacht, schlimme Fehler. Ich habe dich vernachlässigt, ich war eifersüchtig, ich habe mich von meinen Gefühlen zu einer großen Dummheit hinreißen lassen … Aber Rosa, gib unserer Liebe eine
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