Die Rosen von Montevideo
nicht im Kreis geht, sondern Schritt für Schritt geradeaus.«
Rosa nickte langsam. Kurz erwachte die Hoffnung in ihr, dass sie stark wie Espe war, dass sie ihr Elend bewältigen konnte und den Kopf aus dem Strudel halten, dass sie nicht zugrunde gehen, sondern nach dieser Tragödie ihr Leben neu anpacken würde.
Doch je länger sie Espe betrachtete, desto bewusster wurde ihr: Deren Nüchternheit und Entschlossenheit täuschten nicht darüber hinweg, dass etwas in ihr zerbrochen war und nie mehr ganz heil werden würde. Das Leben als Geschäft zu sehen, das nichts schenkte, was man nicht selbst mit aller Macht ertrotzte, war sicher klug. Und zugleich unendlich traurig.
Albert fragte sich oft, wann genau sein Leben unwiderruflich zum Alptraum geworden war, aus dem er nicht mehr erwachen würde – ob an dem Tag, als Fabien in ihrem Leben auftauchte, ob schon viel früher, als er und Rosa sich entfremdeten, oder erst mit dem Brand, da nicht länger zu leugnen war: Seine Ehe, ja, sein ganzes Leben war zerstört.
Die Zeit, die auf die Katastrophe folgte, war die quälendste in seinem Leben. Jeden Tag war er überzeugt, dass es ihm nicht länger gelingen würde, die Beherrschung zu wahren und die Wahrheit zu vertuschen, doch jeden Tag wurde es Abend, ohne dass seine Maske Sprünge bekam. Wie es darunter aussah, interessierte niemanden.
Ganz ruhig stand er die Polizeibefragung durch und sinnierte mit den Beamten über die Ursache des Feuers, bei dem zwei Menschen – Adele Gothmann und Fabien Ledoux – den Tod gefunden hatten. Er war Espe insgeheim dankbar, dass sie veranlasst hatte, den Leichnam in die brennenden Trümmer zu schaffen – es ihr jemals offen sagen konnte er nicht. Er brachte es nicht über sich, Fabiens Namen auszusprechen, denn es war unerträglich genug, dass all sein Denken um ihn kreiste – und der Tatsache, dass dessen Blut an seinen Händen klebte. Die Beamten wiederum behandelten ihn voller Respekt: Schließlich war er ein angesehener Bankier ohne Fehl und Tadel, und niemand hegte auch nur den geringsten Verdacht, dass er eiskalt lügen könnte. Carl-Theodor ahnte vielleicht etwas von den wahren Umständen des Feuers, doch er bohrte nicht nach, sondern schien einzig erleichtert, dass sein Töchterchen noch lebte.
Zur nächsten großen Prüfung wurde das Begräbnis seiner Mutter, an dem alle einflussreichen Familien Frankfurts teilnahmen. Sie sprachen ihm ihr Beileid aus, doch er vernahm ihre Stimmen kaum, starrte auf den Sarg und dachte: Im Grunde habe ich sie genauso getötet wie Fabien.
Auch wenn nie geklärt werden würde, warum in jener Nacht das Feuer ausgebrochen war – er war sicher, dass der Brand vermieden worden wäre, wenn er zu Hause gewesen wäre und sich um die verwirrte Adele gekümmert hätte.
Frau Lore war von allen am meisten erschüttert. »Immer war sie krank – und nun stirbt sie ausgerechnet bei einem solch schrecklichen Unglück.«
Sie weinte die Tränen, die Albert nicht hatte. Er sah auch Rosa nicht weinen. Ein bleicher Schatten war sie, der ihm auswich und – falls sich das nicht vermeiden ließ – voller stummer Vorwürfe anstarrte.
Er ertrug diese nicht, suchte verzweifelt nach Ablenkung und fand diese, als es erste Pläne zu schmieden galt, das Haus im Taunus wieder aufzubauen. Eigentlich empfand er jenen Boden als verflucht, aber das konnte er nicht offen eingestehen, und bis aus den Ruinen ein neues Heim errichtet war, würden ohnehin viele Jahre vergehen. In dieser Zeit würden sie im Stadthaus leben, wo Antonie einige Tage nach Adeles Beerdigung eintraf. Albert fragte sich, ob sie absichtlich so spät gekommen war, und hegte den Verdacht, dass sie nicht aus Trauer schwarze Kleidung trug, sondern weil es sich nun einmal gehörte und es ihr überdies hervorragend stand.
Carl-Theodor begrüßte sie ungewohnt herzlich und suchte in einer inniglichen Umarmung offensichtlich Trost zu finden, doch Albert wurde Zeuge, wie Antonie sich unwirsch von ihm löste, und plötzlich stieg kalte Wut auf sie in ihm auf.
»Warum behandelst du deinen Mann so kühl?«, fuhr er sie an. »Immerhin hat er deiner Tochter das Leben gerettet.«
Antonie zeigte nicht den geringsten Anflug von schlechtem Gewissen. »Wie ich hörte, auch deiner«, sagte sie leise. »Wo warst du eigentlich?«
Ehe Albert etwas antworten konnte, traf ihn Carl-Theodors warnender Blick. Halt dich aus meiner Ehe raus, wollte er ihm damit wohl sagen, kümmere dich lieber um deine
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