Die Rosen von Montevideo
eigene.
Albert wusste es ja selbst – er sollte sich endlich mit Rosa aussprechen, aber er konnte ihr nicht unter die Augen treten. Er fühlte sich schrecklich schuldig, doch wenn er an sie dachte, stieg zugleich das Bild von ihr und Fabien auf, wie sie gemeinsam gelacht und getanzt hatten. Die Eifersucht quälte ihn ebenso wie die Frage, ob sie ihn wirklich betrogen hatte.
Unmöglich konnte er sie fragen. Unmöglich würde sie ihm antworten.
Sie wich nicht nur ihm aus, sondern sprach mit niemandem, zog sich zurück und ließ nur Espe zu sich. Nicht einmal Valeria wollte sie sehen, und Albert war sich sicher, dass sie wieder in Schwermut versunken war und stundenlang weinte. Doch eines Abends, als er mit Antonie und Carl-Theodor beim Dinner saß, gesellte sie sich unerwartet zu ihnen: Ihre Augen waren nicht rot verquollen, sondern wirkten kalt und hart und wegen der schwarzen Kleidung noch dunkler. Ihre Haltung war vornehm, nahezu starr, ihre Schritte sorgsam bemessen, ihr Lächeln schmal und ausdruckslos.
Das war nicht die Rosa, die er kannte.
Er sah, wie Antonie bewundernd die Braue hob, ihm selbst jedoch der Mund trocken wurde. Carl-Theodor war der Erste, der das Schweigen brach.
»Wir haben eine Dinnereinladung der Rothschilds erhalten, und ich denke, wir sollten hingehen«, murmelte er.
»So bald nach Mutters Tod?«
»Es sind nun drei Monate vergangen. Es wird Zeit, dass wir uns wieder am gesellschaftlichen Leben beteiligen.«
Jene drei Monate erschienen ihm wie ein ewig andauernder Tag.
Albert war unschlüssig. Die Vorstellung, unter Leute zu gehen, ihr Mitleid entgegenzunehmen und seine wahren Gefühle zu verschleiern, war ihm unerträglich, doch das konnte er nicht offen zugeben.
Als er das Ansinnen schon abweisen wollte, meldete sich plötzlich Rosa zu Wort.
»Ich finde, wir sollten die Einladung annehmen.«
Albert sah sie verwundert an. Gerade ihr war es doch immer so unangenehm gewesen, sich unter die Leute zu mischen!
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, senkte sie ihren Blick und begann, ihre Suppe zu essen. Plötzlich ahnte er – sie hatte in den letzten Wochen kein einziges Mal geweint. Doch diese merkwürdige Starre und Leblosigkeit erschreckten ihn ungleich mehr als ihre Gefühlsausbrüche und Melancholie.
Bis zuletzt zweifelte Albert daran, dass Rosa wirklich bereit war, auszugehen. Er war überzeugt, dass sie kurz zuvor doch noch absagen würde – umso mehr, da sie am Abend der Einladung lange auf sie warten mussten. Antonie und Carl-Theodor waren längst zur Abfahrt bereit, während sie sich nicht blicken ließ. Albert schickte Else nach ihr, doch eine Weile später erschien nicht diese am oberen Ende der Treppe, sondern Rosa.
Albert stockte der Atem, als er seine Frau sah. Carl-Theodor stieß ein lautes Pfeifen aus, und auch Antonie hob sichtlich erstaunt ihre Brauen hoch.
Rosa sah unglaublich schön aus. Sie hatte viel mehr Augenmerk als sonst auf ihre Frisur gelegt: In je drei Puffen, die sorgsam eingedreht worden waren, legte sich das Haar rechts und links an Schläfen und Wangen; der Mittelscheitel war akkurat gezogen, die winzigen Seitenlocken schimmerten. Ihr Kleid mit den drei Reihen Volants am weiten Rock war das prächtigste, das sie jemals getragen hatte. Zwar hatte sie wegen der Trauer auf bunte Farben verzichtet und sich stattdessen für ein dunkles Grau entschieden, aber es stand ihr vorzüglich und unterstrich die Blässe ihres feinen Gesichts. Dazu trug sie Schuhe mit breiten Schnallen, einen indischen Schal mit langen Fransen, mattblaue Handschuhe und ein mit Perlen besticktes Täschchen.
Albert starrte sie fassungslos an.
»Du hast dir alle Mühe gegeben«, sagte Antonie anerkennend. Der übliche Spott wirkte heute nicht bissig, sondern gutmütig.
Rosa schritt langsam die Treppe hinunter. Sie ignorierte Albert und wandte sich direkt an Antonie. »Ich weiß, dass ihr alle über mich gespottet habt. In euren Augen war ich eine Exotin, eine Zirkusattraktion. Aber ich werde nicht länger zulassen, dass ihr über mich lacht.«
Was sie sagte, klang so stolz, so herrschaftlich … so tot.
Antonie lächelte schmal; Albert wusste nicht recht, ob sie amüsiert war oder gekränkt.
Die Fahrt verlief schweigend und führte zur zauberhaften Villa Grüneburg, in der Anselm und Charlotte Rothschild residierten. Charlotte veranstaltete viele Soireen, Dinners und Feste und begrüßte sie an der Seite ihrer Töchter Julie und Mathilde. Beide machten einen wohlerzogenen
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