Die Rosen von Montevideo
Albert auch da und warum …«
Valeria fuhr herum. »Pst!«, machte sie. »Niemand darf wissen, dass ich hier bin.«
Claire riss die Augen auf. Sie konnte sich nicht erklären, was die andere hier wollte – aber sie ahnte, dass sie gehörige Unruhe in die letzten Tage in Hamburg bringen würde.
Wenig später hatte Claire Valeria unauffällig in ihr Zimmer gelotst. Frau Grotebeck hatte Claire zwar versprochen, dem Vater nichts von der Anwesenheit des anderen Fräuleins zu berichten, doch ihr Blick war sehr skeptisch ausgefallen, und Claire wollte ihre Gutwilligkeit nicht überstrapazieren, indem sie um eine Tasse Tee und etwas Gebäck bat. Valeria schien ohnehin nicht besonders hungrig zu sein und die Strapazen ihrer Anreise gut weggesteckt zu haben.
Anstatt endlich zu erklären, warum sie alleine hierhergekommen war, inspizierte sie dreist Claires Taschen und Koffer.
»Wieso in Gottes Namen hast du nur so viele Bücher eingepackt?«
»Nun, weil die Reise mehrere Wochen dauert und mir ansonsten schrecklich langweilig werden würde.«
Valeria machte ein ungläubiges Gesicht. Für sie war es offenbar undenkbar, dass ausgerechnet Bücher Zerstreuung bringen konnten. »Von wegen!«, rief sie. »Auf einem solchen Schiff gibt es doch so viel zu beobachten. Und so viel Aufregendes zu erleben! Die Äquatortaufe zum Beispiel!«
Claire hatte von diesem Ritual gehört, und obwohl sie nicht wasserscheu war, vielmehr das Schwimmen liebte, hoffte sie, dass es ihr erspart würde, nach der Überquerung des Äquators nass gemacht zu werden.
»Wie kommst du hierher?«, lenkte sie ab.
»Was denkst du denn, natürlich mit der Eisenbahn! Das war ein nicht ganz so großes Abenteuer, und obendrein konnte ich nur eine Fahrkarte zweiter Klasse kaufen. Ich saß neben einer Familie, die schrecklich gestunken hat.« Sie rümpfte die Nase. »Der Mann hat Hosen getragen, die voller Flicken waren, und die Frau eine Schürze, die starrte vor …«
»Wahrscheinlich waren es arme Leute, die sich keine neue Kleidung leisten können«, unterbrach Claire sie streng.
Valeria zuckte die Schultern. »Dafür kann ich doch nichts. Und meinetwegen kann alle Welt stinken. So schnell werde ich ohnehin nicht mehr mit dem Zug reisen.«
»Was hast du stattdessen vor?«
Sie schloss einen von Claires Koffern wieder, nachdem sie dessen Inhalt inspiziert hatte, und blickte die Cousine flehentlich an. »Du … du wirst mir doch helfen?«
»Helfen wobei?«
Hastig erläuterte Valeria ihr Vorhaben, und während Claire noch vor Fassungslosigkeit der Mund offen stand, fügte sie hinzu: »Bitte, ich kann doch nicht zurück nach Frankfurt! Ich bin vom Pensionat geflogen.«
Claire unterdrückte ein Seufzen. Sie war zwar gewohnt, dass Valeria ständig in Schwierigkeiten steckte, aber was sie nun plante, war keiner ihrer gewöhnlichen Streiche.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, rief sie entsetzt.
Entgegen ihrer Gewohnheit schwieg Valeria vielsagend. Claire musterte ihre entschlossene Miene und verkniff sich jedes Widerwort. Sie war sich sicher, es würde ohnehin nichts nützen. Beim Blick auf die eingepackten Bücher seufzte sie nun doch und fragte sich, wann sie sie wohl in Ruhe würde lesen können.
13. Kapitel
C arl-Theodor atmete tief die Seeluft ein. Ihre Abreise aus Hamburg lag nun eine Woche zurück, und die Luft wurde zunehmend schwüler – selbst an Tagen wie heute, da die Sonne nicht zu sehen war, das Meer und der diesige Himmel grau wirkten und miteinander zu verschmelzen schienen.
Um ihn herum herrschte lebhaftes Treiben: Junge Burschen hatten sich an Deck versammelt und beugten sich über die Reling, um die Fliegenden Fische zu beobachten. Zunächst dachte Carl-Theodor noch, dass sie von diesem ungewöhnlichen Naturschauspiel fasziniert seien, aber dann lauschte er Diskussionen um die Nahrhaftigkeit ihres Fleisches und wie man sie am besten fing.
Nun ja, er konnte sie verstehen: Die meisten Passagiere reisten im Zwischendeck, und dort wurde nicht gerade mit kulinarischen Leckerbissen aufgewartet, eher mit keimenden Kartoffeln und Reis voller Maden, und er war in diesem Alter auch immer hungrig gewesen.
Er selbst konnte sich den Luxus erlauben, erster Klasse zu reisen, und er bekam dort vorzügliches Essen aufgetischt – ob Schellfisch, Rinderbraten mit Erbsen oder Gänsekeule mit Rotkraut –, aber ihm fehlte meist der Appetit, zumal er immer allein essen musste. Claire hatte die Seekrankheit besonders arg erwischt, und
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