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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Schmerzen ihr zusetzten. Ihr Vater hatte gemeint, dass sie ihre Familie hatte schonen wollen, aber Claire ahnte, dass es ihr eher darum gegangen war, Distanz zu wahren. Niemals hatte sie ihre wahren Gefühle offenbart – warum sollte sie ausgerechnet die Angst vor dem Tod oder das Bedauern über ein zu kurzes Leben teilen. Sie starb mit dem ihr eigentümlichen Lächeln auf den Lippen, das stets etwas zu kalt und zu spöttisch gewesen war, um freundlich zu wirken.
    Ihr Tod hatte ihren Vater in Verzweiflung gestürzt, obwohl er und seine Frau sich längst entfremdet hatten, und wenngleich Claire aufrichtiges Mitleid mit ihm hatte – sie selbst weinte keine einzige Träne. Sie wollte keine Trauer heucheln, die sie nicht fühlte, und war sich sicher, dass ihre Mutter auf so ein Verhalten stolz gewesen wäre, auch wenn sie das ebenso wenig zugegeben hätte wie die heimliche Freude, dass ihre Tochter ein wissbegieriges Mädchen und eine Büchernärrin war.
    Claire erreichte das Erdgeschoss und hörte ihren Vater murmeln. Sein Gegenüber war offenbar kein Auswanderer, sondern ein angesehener Bürger Hamburgs, der in Montevideo Konsul werden sollte.
    »Mir ist es wichtig«, erklärte der Mann eben, »dass der Zusammenhalt der Deutschen gestärkt wird. Ich habe gehört, dass sie bis jetzt nicht viel miteinander zu tun haben und sich vielmehr an die Engländer halten würden. Im Fremdenclub hätten allein diese das Sagen.«
    »Was immer ich tun kann …«
    »Nun, Sie verfügen in Montevideo doch über viele Kontakte. Meines Wissens reichen diese bis zur deutschen Kaufmannskolonie in der Zavala. Es wäre wünschenswert, wenn Sie sich am gesellschaftlichen Leben Montevideos stärker beteiligen könnten – und auch Ihre Geschäftspartner dazu ermutigen.«
    »In den letzten Jahren hatte ich viel mit den Familien Girtanner und Düsenberg zu tun. Sie sind Ihrem Vorhaben gewiss nicht abgeneigt.«
    Claire hörte diese Namen nicht zum ersten Mal. Friedrich Girtanner und Wilhelm Düsenberg zählten zu den erfolgreichsten deutschen Einwanderern Montevideos.
    Sie wollte die Gelegenheit nutzen, etwas mehr über das kulturelle Leben Montevideos zu erfahren und solcherart ihre größte Angst zu bekämpfen – dass es nämlich ein unzivilisiertes Land sei, dem es an Museen, Büchern und Theater, ihrem eigentlichen Lebenselixier, mangelte –, doch ehe sie den Salon betreten konnte, wurde sie aufgehalten.
    »Fräulein Clara!«
    Frau Grotebeck nannte sie nie bei ihrem richtigen Namen, und Claire war es leid, sie darauf hinzuweisen, dass ihre Mutter Französin gewesen und sie auf diese Wurzeln stolz war.
    »Fräulein Clara, kommen Sie doch mal!«
    Claire unterdrückte ein Seufzen: Sie hatte ganz vergessen, den Menüplan fürs Abendessen abzusegnen. Als ob es für sie oder ihren Vater einen Unterschied machte, ob Fleisch oder Fisch auf den Tisch kam! Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich die dürre Antonie jemals sonderlich oft mit dem Menüplan beschäftigt hatte. Allerdings – bald war sie Frau Grotebeck ohnehin los, und dieser Gedanke stimmte sie milde.
    »Was schlagen Sie vor – Königsberger Klopse, Wildragout, falscher Hase?« Claire setzte ein Lächeln auf.
    Ausnahmsweise hatte die Haushälterin etwas anderes im Sinn. »Eine junge Frau will Sie unbedingt sprechen«, erklärte sie aufgeregt.
    »Mich?«, fragte Claire erstaunt. Sie kannte in Hamburg so gut wie niemanden, denn schon lange vor Antonies Tod hatten die Gothmanns sehr zurückgezogen gelebt. Dies war nicht zuletzt der Grund, warum Carl-Theodor eingewilligt hatte, sie mit nach Montevideo zu nehmen. Er ließ ihr zwar alle Freiheiten, hatte aber insgeheim Angst, dass sie sich im finsteren Hamburger Stadthaus zu einer Eigenbrötlerin entwickeln würde – und somit der steifen, unnahbaren Antonie immer ähnlicher.
    »Wo ist die Frau?«
    »Sie wollte Ihrem Vater nicht begegnen. Sie wartet in der Küche.«
    Claire folgte ihr rasch, und obwohl die Frau ihr den Rücken zugewandt hielt, erkannte sie sie sofort an der Mähne des honigbraunen, lockigen Haars, das sie von Albert geerbt hatte, und der dunklen Haut, die sie von der exotischen Mutter hatte und im Kontrast zu Claires blasser stand. Sie wirkte zu südländisch, um hierzulande als klassisch schön zu gelten, aber Claire kam sich mit ihren blonden Locken und den blauen Augen im Vergleich zu ihr immer farblos vor.
    »Valeria!«, rief sie. »Was machst du denn hier? Lieber Himmel, Vater wird staunen. Ist Onkel

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