Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
schien es, als gäbe es nichts mehr zu sagen, als wäre alles zwischen ihnen ausgesprochen, als könnten sie jetzt nur abwarten, was die Zukunft bringen würde.
»Ich muß dann wieder hinunter zu den anderen«, sagte Beatrice schließlich, und er sagte erneut: »Ja, ja.«
Sie hatten einander nicht berührt, es hatte keine Geste der Zärtlichkeit zwischen ihnen gegeben, nichts, was an ihre einstige Intimität und Vertrautheit erinnert hätte.
Und er hat nicht einmal gefragt, wie es mir in dieser Nacht erging, dachte Beatrice, als sie die Leiter wieder hinunterstieg, kein Wort über die Gefahr, in die er mich gebracht hatte, kein Bedauern darüber, daß er mir die Situation eingebrockt hat, in der ich jetzt stecke, in der ich fast so gefangen und unbeweglich bin wie er. Und das alles nur wegen seines Leichtsinns.
Es ergab sich für sie später keine Gelegenheit mehr, Julien zu besuchen, aber im Grunde wollte sie es auch nicht, legte es nicht darauf an. Sie war enttäuscht von ihm, und zudem begann der Alltag zunehmend strapaziöser zu werden, und es schien nicht die Zeit für Liebe zu sein.
Den Jahreswechsel 1944/45 verbrachte sie mit Erich und Helene allein daheim. Erich hatte zunächst verkündet, sie würden gemeinsam nach St. Peter Port fahren und in einen Offiziersclub gehen, wo eine Party stattfand, dann sprach er von einer Einladung beim Befehlshaber der Streitkräfte auf den Inseln, und zum Schluß wollte er an keinem dieser Ereignisse teilnehmen und beschloß, daß sie alle daheim bleiben würden. Beatrice vermutete, daß die Feiern, die er zunächst anvisiert hatte, keineswegs besonders festlich werden würden, daß er dies wußte und daher von vornherein die Lust verloren hatte. Wer hatte noch die Möglichkeit, ein Fest zu veranstalten? Der akute Mangel an Nahrungsmitteln und der Hunger machten auch vor den höchsten Offizieren nicht halt. Es gab nichts mehr, nicht einmal Privilegien. Unter den Deutschen verbreitete sich zunehmend Endzeitstimmung, vor allem, da die Radiosender nur noch Vormärsche der Alliierten auf dem Kontinent und Rückzugsgefechte der Hitler-Truppen meldeten. In der britischen Inselbevölkerung mischten sich Spannung und Erwartung mit Furcht: Was, wenn man sie weiterhin vergaß? Wenn überall der Krieg zu Ende ging und sie hier weiter festsaßen mit den Feinden, einem langsamen Hungertod preisgegeben? Man war allgemein äußerst schlecht zu sprechen auf Churchill. Die eiserne
Härte, mit der er die Inseln boykottierte und seinen eigenen Leuten immer unerträglicher werdende Entbehrungen aufnötigte, würde man ihm nie wirklich verzeihen.
Erichs Geburtstag, der 24. Dezember, war ohne nennenswerte Probleme verlaufen. Die Alkoholvorräte im Haus waren nahezu vollständig aufgebraucht, und Nachschub war nicht zu ergattern, daher saß Erich auf dem trockenen und durchlebte einen langsamen Entzug, was das Trinken anging. Es kam nicht mehr zu der tödlichen Mischung aus Alkohol und Tabletten, die ihn regelmäßig in seine extremen Stimmungslagen katapultiert hatte. Über eine letzte Reserve an Medikamenten schien er noch zu verfügen, denn es gelang ihm immer wieder, ein Abgleiten in die Melancholie, deren Herannahen man ihm deutlich ansah, im letzten Moment abzufangen. Beatrice fragte sich, was passieren würde, wenn ihm diese Möglichkeit nicht mehr zur Verfügung stand. Es gab dann keinerlei Hilfsmittel mehr für ihn. Er würde krank werden oder durchdrehen, oder beides.
Am Silversterabend hatte er eindeutig Tabletten geschluckt, denn er war euphorisch und gut gelaunt, obwohl es dafür nicht den geringsten Grund gab. Im Radio meldeten sie Einbrüche an allen Fronten, und obwohl selbst die katastrophalsten Nachrichten noch mit Siegesmeldungen verbrämt wurden, konnte niemand übersehen, daß der Niedergang begonnen hatte und in rasantem Tempo voranschritt. Die Amerikaner hatten Aachen eingenommen, standen nun also unmittelbar auf deutschem Boden. Im Osten rückten russische Truppen bedrohlich nahe auf die deutschen Grenzen zu; niemals, so beteuerte die Propaganda, werde es den Russen gelingen, den Ostwall zu überwinden und ins Reich einzufallen, aber BBC London, dessen heimlich abgehörte Meldungen sich täglich in Windeseile über die Inseln verbreiteten, berichtete von Truppenaufmärschen in unvorstellbaren Größenordnungen. Das gigantische Rußland, das einst fast im Schlaf überrascht worden war und wenig Abwehr gegen die Feinde hatte aufbieten können, hatte nun alle Kräfte
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