Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Schicksalsgemeinschaft. Man versuchte, gemeinsam irgendwie zu überleben.
Das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten war auf den Inseln immer ein anderes gewesen als in den übrigen von Hitler eroberten Ländern. Die Deutschen waren tyrannisch, aggressiv und überheblich aufgetreten, aber es hatten keine Ausschreitungen bis
hin zu Massenexekutionen wie in Polen, Rußland oder auch in Frankreich stattgefunden. Umgekehrt war auf den Inseln auch nie eine Widerstandsbewegung entstanden, somit hatte es keine Angriffe auf den Gegner gegeben. Den ganzen Krieg über hatte man sich auf einer Insel aufgehalten, durch das Meer ringsum abgetrennt von allem übrigen Geschehen, eine weitgehend geschlossene Gemeinschaft, in der sich alle Beteiligten fast zwangsläufig anders arrangierten als in den Ländern, in denen ein Kommen und Gehen möglich war — zumindest für die Sieger. Irgendwie hatte man miteinander auskommen müssen, weil man dichter aufeinandersaß und nicht ausweichen konnte. Ungewollt und ungesteuert war ein gewisses Gemeinschaftsgefühl entstanden.
Unter dem Einfluß von Hunger und Angst begann sich dieses Gefühl in den letzten Kriegsmonaten zu einer erstaunlich ausgeprägten Solidarität zu entwickeln.
Im September ’44 war Beatrice sechzehn Jahre alt geworden, und sie war überzeugt, daß dies der letzte Geburtstag war, den sie unter deutscher Besatzung hatte feiern müssen. Die Wende im Kriegsglück der Feinde war nun nicht mehr zu übersehen.
»Noch ein halbes Jahr vielleicht«, tuschelten die Menschen, »dann ist alles vorbei.«
Es war für Beatrice ein eigenartiges Gefühl zu wissen, daß sie bald ihre Eltern wiedersehen würde. Vier Jahre waren seit der Trennung vergangen, fünf würden es bald sein, bis sie einander wieder in die Arme schließen konnten. Nun, da sie sich gewissermaßen auf der Zielgeraden befand, wuchs die Ungeduld in Beatrice. Sie fieberte, sie konnte es nicht mehr abwarten. Sie konnte ihre Gefangenschaft nicht mehr ertragen, die ständige Bewachung, den Zwang, über jeden Schritt Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie hatte Julien in all der Zeit nur noch ein einziges Mal sehen können; das war im März gewesen, als Mae Geburtstag gehabt hatte. Erich hatte sich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich aufgehalten, und Beatrice hatte Helene überreden können, sie zu der Party gehen zu lassen, die Mae veranstaltete. Helene hatte nach langem Zögern, nach endlosem Hin und Her eingewilligt. Beatrice hatte sich irgendwann von der Schar kichernder junger Mädchen, die ihr alle kindisch und unreif vorkamen, distanziert und war auf den
Dachboden hinaufgeklettert, den sie zuletzt im Sommer des Vorjahres betreten hatte. Julien saß in einem Liegestuhl unter der Dachluke, er war warm angezogen und ließ sich die erste kalte Frühlingssonne durch das geöffnete Fenster ins Gesicht scheinen. Er sah Beatrice an wie ein Gespenst.
»Du? Ich dachte, dich lassen sie nie wieder hierher!«
»Tun sie auch nicht. Aber zu Maes Geburtstag haben sie eine Ausnahme gemacht.«
Er erhob sich aus seinem Liegestuhl und kam auf sie zu. Er war sehr blaß und trug einen gequälten Ausdruck im Gesicht, der früher, trotz allem, nicht dagewesen war. Er schien, als habe er die Phase der Rebellion und des Zorns abgeschlossen und sei in eine Resignation gefallen, die ihn still und depressiv sein ließ. Er lehnte sich nicht mehr auf. In sich selbst zurückgezogen, wartete er auf das Ende, wie immer es aussehen würde.
»Schön, daß du da bist«, sagte er, aber es klang wenig enthusiastisch.
»Was haben die Wyatts dir erzählt?«
»Was Mae ihnen gesagt hat. Daß du praktisch das Haus nicht mehr verlassen und nicht mehr hierherkommen darfst.«
»Wissen sie, daß wir in... jener Nacht zusammen waren?«
Er nickte. »Das haben sie sich zusammenreimen können. Es hat sich wohl herumgesprochen, daß du damals mit einem Mann am Strand gesehen worden bist, und da ich auch fort war ... « Er zuckte mit den Schultern. »Sie wissen sicher nicht, wie weit unser Verhältnis ging, aber daß sich da zumindest mehr anbahnte, als sie zunächst dachten, wurde ihnen wohl schon klar. Sie sind ziemlich böse auf mich.«
»Immerhin verstecken sie dich noch.«
»Ja. Da habe ich wohl Glück, auch wenn ich es im Grunde so nicht empfinden kann. «
»Du wirst alles überstehen«, sagte Beatrice, und er erwiderte vage: »Ja, ja.«
Dann standen sie einander eine Weile stumm gegenüber, und keiner wußte, was er reden sollte. Irgendwie
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