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Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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aktiviert, Kämpfer aus allen Ecken und Winkeln des Landes zusammengezogen. Laut BBC war das Schicksal Ostpreußens, des östlichen Teils des Reiches, bereits besiegelt. Es war eine Frage von Tagen, wann die Russen
angreifen würden, und es war eine Frage von Stunden, wann sie die Abwehr an den Grenzen überwunden haben würden.
    Selbst Erich, dachte Beatrice, kann nicht mehr an den Endsieg glauben.
    Das Abendessen an diesem letzten Tag des Jahres 1944 bestand aus einer wäßrigen Graupensuppe, zu der ein trockenes, geschmackarmes und hartes Graubrot gereicht wurde; als Nachtisch hatten sie eingeweckte Mirabellen, die noch von Deborah stammten. Als Überraschung brachte Helene danach die letzten beiden Flaschen Wein, die es im Haus noch gab. Sie hatte sie in den Wochen zuvor an sich genommen und in ihrem Kleiderschrank versteckt.
    »Damit wir etwas zum Anstoßen haben«, sagte sie.
    »Auf dich kann man sich wirklich verlassen«, sagte Erich und lachte exaltiert.
    Spätestens in diesem Moment wurde es Beatrice völlig klar, daß er Tabletten genommen haben mußte, denn unter normalen Umständen hätte er jetzt einen Wutanfall bekommen. Den ganzen Dezember über hatte er an fast jedem Abend im Keller herumgestöbert und nach Alkohol gesucht, war manchmal ganz verzweifelt gewesen, weil er nichts fand. Es hätte ihn zutiefst gegen Helene aufbringen können, nun zu erfahren, daß die ganze Zeit über ein letzter Vorrat im Haus gewesen war. Aber er lachte nur wieder und wieder und bekundete, daß er die gewitzteste und schlaueste Frau auf Erden geheiratet habe, die immer für eine angenehme Überraschung gut sei, und Helene saß strahlend am Tisch und schien platzen zu wollen vor Stolz über seine Komplimente.
    Erich trank hastig und am meisten von allen und schaffte es, daß die Flaschen weit vor Mitternacht leer waren, so daß sie schließlich mit einem bitteren Tee aus getrockneten Brombeerblättern anstoßen mußten.
    »1945«, sagte Erich pathetisch. »Ich trinke auf dieses besondere Jahr! Es wird das Jahr der Entscheidung. Das Jahr eines heroischen Kampfes. Das Jahr tapferer Männer und Frauen, die ihre letzten Kräfte einsetzen werden, dem deutschen Volk, dem Deutschen Reich den Endsieg zu bringen!« Er hob den Becher mit dem stinkenden Tee. »Heil Hitler!« rief er.
    »Heil Hitler!« fiel Helene pflichtschuldig ein. Beatrice dachte,
daß sie es ihr kaum übelnehmen konnten, wenn sie sich dieser Floskel enthielt, und so stieß sie mit ihnen an und schwieg dabei.
    Um halb eins verkündete Erich, er wolle den Sternenhimmel sehen, und Beatrice solle mit ihm hinauskommen. Sie folgte ihm auf die rückwärtige Veranda, wurde sofort eingehüllt von feuchter Kälte, von einer Nässe, die in der Luft hing und so ungemütlich war, daß Beatrice am liebsten gleich wieder umgekehrt wäre. Das nun schon monatelang andauernde Hungern hatte sie stark abmagern lassen, sie litt unter der Kälte dieses Winters weit mehr als unter der irgendeines Winters zuvor. Erich hingegen, obwohl auch dünn und eingefallen inzwischen, hatte genug getrunken, um sich trotz allem draußen wohl zu fühlen.
    »Nicht ein Stern ist zu sehen«, bemerkte er mit einem Blick in den schwarzen, nebelverhangenen Himmel. »Nicht ein Stern in dieser ersten Nacht eines bedeutsamen Jahres. Nur Nebel. Verdammter, ewiger Nebel. Eine Menge Nebel hier auf dieser Insel. Da, wo ich herkomme, in Berlin, ist nicht soviel Nebel.«
    Vermutlich deshalb, weil da nicht soviel Wasser ist, dachte Beatrice, sagte aber nichts. Sie hielt beide Arme um ihren Körper geschlungen und bemühte sich, nicht mit den Zähnen zu klappern.
    »Wir sind am Ende«, sagte Erich plötzlich. Seine Stimmlage hatte sich nicht verändert, er sprach mit dem gleichen Gleichmut, mit dem er über den Nebel geredet hatte. »Deutschland ist am Ende. Ich weiß es, du weißt es. Ich möchte nur Helene noch nicht allzusehr beunruhigen.«
    »Ich glaube«, sagte Beatrice, »daß Helene es auch weiß.«
    Erich machte eine wegwerfende Handbewegung. »Helene ist ein Kind. Sie glaubt immer das, was ihr gerade erzählt wird, wenn es nur überzeugend genug vorgetragen wird. Du kannst sie nicht ernst nehmen.«
    Der Nebel legte sich in feuchten Schleiern um sie.
    Ich werde eine Lungenentzündung bekommen, dachte Beatrice.
    »Ich weiß nicht genau, wie das Ende aussehen wird«, sagte Erich, »wie es für die Menschen im Reich aussehen wird, und wie für uns hier. Aber es wird furchtbar sein, soviel ist gewiß. Es wird

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