Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
diesem Angebot, das ihr das Leben machte. Sie hatte jegliches Glücksgefühl, jedes Gefühl von Freude und Zuversicht zu lange entbehrt. Sie hatte keine Vorstellung, wie es sein mußte, damit umzugehen.
Es war kurz vor Mitternacht, als sich der Kellner erneut entnervt ihrem Tisch näherte.
»Wir schließen jetzt um zwölf Uhr«, nuschelte er, »wenn ich Ihnen die Rechnung bringen dürfte ...«
»Ich entscheide selbst, wann ich gehe«, bellte Michael. Er war ziemlich betrunken inzwischen und brauchte überdies ein Ventil für seine Aggressionen. Franca ahnte, daß er sich mit dem Kellner ernsthaft anlegen würde, wenn dieser auch nur den kleinsten Fehler machte. Eilig zog sie ihre Brieftasche hervor.
»Bringen Sie mir die Rechnung«, sagte sie, »ich übernehme das.«
»Du läßt dich von dem Typen nötigen?« fragte Michael mit schwerer Zunge. »Meine Frau läßt sich aus einem Restaurant weisen wie ein lästiger Zechpreller? Du...«
»Wir sitzen hier lange genug«, unterbrach Franca, »diese Leute haben auch irgendwann Feierabend. Wir hätten längst ...«
»Wir hätten gar nichts längst ! Das ist wieder typisch Franca! Einer kommt und sagt etwas, und Franca zieht den Schwanz ein. Du kuschst, wenn ein anderer nur den Mund aufmacht. Du bist so etwas von unterwürfig, das hat die Welt noch nicht gesehen. Du...«
»Michael!« bat Franca leise. Er war ziemlich laut geworden, die Kellner blickten schon irritiert herüber.
»Ich lasse mir doch von dir nicht den Mund verbieten!« fuhr Michael auf.
»Ich bin müde«, sagte Franca, »ich möchte nach Hause.«
»Du möchtest nach Hause? Du möchtest das Gespräch beenden? Und du meinst, so einfach kommt du davon? Du knallst mir die Scheidung hin und erklärst dann, du seist jetzt müde und müßtest ins Bett?«
»Es gibt nichts mehr zu besprechen«, sagte Franca, »deshalb macht es keinen Sinn, hier noch länger zu sitzen.«
Der Kellner brachte die Rechnung. Franca legte ein paar Scheine auf den Tisch.
»Wir sind noch nicht am Ende«, sagte Michael.
Sie stand auf. Ihre Knie fühlten sich weich an. Der Tag war ihr an die Nerven gegangen, aber sie hatte den Eindruck, sich insgesamt gut geschlagen zu haben.
»Doch, Michael«, sagte sie, »wir sind am Ende.«
Es war seine Sache, wie er in sein Hotel zurückkam. Es gab Taxis. Es war nicht ihr Problem. Sie verließ das Restaurant, wußte, daß er ihr fassungslos hinterherstarrte, und ging zu ihrem Auto. Sie konnte fühlen, daß er in diesem Moment begriff: Es hat keinen Sinn, sie zurückhalten zu wollen. Die Angelegenheit war entschieden.
Sie schloß die Autotür auf, ließ sich auf den Sitz vor dem Lenkrad fallen. Vor ihr lag das hell angestrahlte Castle Cornet. Die Wellen des Meeres rauschten an den dunklen Strand.
Ich bin frei, dachte sie. Es war ein fast überwältigendes Gefühl, das sie für ein paar Sekunden fest die Augen schließen ließ. Ich bin frei. Und ich habe mir meine Freiheit selbst genommen. Niemand
hat sie mir zugeteilt oder aufgezwungen oder gnädig gewährt. Ich habe sie genommen .
Sie öffnete die Augen. Sie wußte, daß Selbstzweifel und Ängste wieder erwachen, an ihr nagen würden. Aber für den Moment spürte sie eine Kraft, die so grenzenlos und unbezwingbar war, daß es ihr fast den Atem nahm.
Ich muß mich immer an diese Sekunden erinnern, dachte sie, immer, solange ich lebe. Ich muß mich erinnern, daß es diese Kraft gibt. Ich könnte sie nicht spüren, wenn sie nicht da wäre. Sie ist in mir. Sie wird immer in mir sein. Ich muß es nur wissen .
Sie wartete ein paar Sekunden, bis sich ihr Herzschlag beruhigt hatte, dann startete sie den Wagen und verließ den Parkplatz.
Es war genau Mitternacht.
11
Sie fuhr durch das tief schlafende Le Variouf und schlich die steile, gewundene Straße am Ende des Dorfes hinauf. Die Nacht war klar und dunkel. Wahrscheinlich ist der Himmel voller Sterne, dachte sie.
Sie bog in die Einfahrt, bremste hinter einem dort bereits parkenden Wagen. Es war Beatrices Auto. Erst als sie ausstieg, bemerkte sie, daß Beatrice noch hinter dem Steuer saß.
Sie klopfte gegen die Scheibe. Beatrice schrak zusammen, öffnete dann die Tür.
»Ach Franca, Sie sind es«, sagte sie, »ich habe völlig die Zeit vergessen. Wie spät ist es?«
»Es müßte gleich halb eins sein. Was machen Sie denn hier im Auto?«
»Ich habe nachgedacht.« Beatrice stieg aus, schüttelte den Kopf, als wolle sie eine Reihe von unangenehmen Gedanken abschütteln. »Es gibt Probleme
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