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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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Villalba, wie Stefano Montano genannt [117]  wurde, war derjenige, dessen
Matteo Trapani gedachte. Der Beiname rührte daher, dass er, anders als die
meisten Mafiosi, gebildet und feinsinnig war, vor allem aber der letzte Pate,
der diesen Namen verdiente. Bis zuletzt hatte Montano auf dem Unterschied
zwischen seiner und der damals aufsteigenden Mafia der Corleonesen bestanden,
die er für nichts anderes als gemeine Verbrecher hielt.
    Und doch,
die Corleonesen – die vulgären viddani – hatten zum
Schluss gesiegt und den Fürsten barbarisch getötet. Nach seinem Tod war alles
anders geworden, und erst heute, dreißig Jahre später, schien es so weit zu
sein, dass man wieder zu einer Norm finden konnte – einer Mafianorm natürlich,
bei der die Vendetta mit eingeschlossen war.
    Lange Zeit
hatte Matteo Trapani auf diesen Moment gewartet, doch er hielt sich, wie auch Stefano
Montano es getan hätte, an die Mafiaregel, nach der man zur richtigen Zeit
Rache nehmen muss, ohne Eile, wenn der Gegner nicht mehr darauf gefasst ist.
    Als
blutjunger picciotto von Stefano Montano hatte Matteo
mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Situation zuspitzte und zu jenen
dramatischen Ereignissen führte, die schließlich die Cosa Nostra in ganz
Italien erschütterten. Zu jener Zeit hatte der Fürst alles darangesetzt, in der
Mafia eine Strategie der »institutionellen Klugheit« beizubehalten – im
Gegensatz zu den skrupellosen Corleonesen, die durch ihre Verbrechen und
Bluttaten eine heftige Reaktion der Zivilgesellschaft auslösten und sogar die
Freunde der Organisation im Staatsapparat dazu zwangen, auf Distanz zu gehen.
    Montano war
der Auffassung gewesen, dass ohne ein Durchdringen des sozialen Gefüges und das
daraus [118]  folgende – mehr oder weniger bewusste – Einverständnis seitens der
staatlichen Institutionen ein Mafiaboss niemals ein echter Pate sein könne,
sondern das bleiben würde, was er schon immer war: ein einfacher Krimineller.
    Als Sohn
eines wichtigen Paten aus einer alten Familie von Großgrundbesitzern hatte
Stefano Montano bald gelernt, die Zügel der Beziehungen zwischen der Cosa
Nostra und den höheren Kreisen der Macht fest in der Hand zu halten und dabei
stets genau die Verhaltensregeln zu beachten, die den Umgang mit der anderen
Seite bestimmten. Doch nachdem die Corleonesen die Macht übernommen hatten, war
das immer schwieriger geworden, und die viddani, inzwischen durch den Drogenhandel steinreich, hatten sich in jeder Hinsicht am
Verhandlungstisch durchgesetzt und viele Mafiafamilien auf ihre Seite gezogen.
    Der Fehler
des Fürsten war es gewesen, nicht zu erkennen, dass es kein Zurück mehr gab und
dass die Corleonesen, obwohl sie alle Ehrenregeln der Mafia missachteten, auch
innerhalb der Institutionen an Boden gewannen. Die Corleonesen wurden
erbitterte Feinde nicht nur des Staates, sondern auch der gemäßigten Mafia,
deren unbestrittener Boss der Fürst war. Viele Aussteiger erzählten den
Richtern später, dass Stefano Montano am liebsten Totò ò zoppo, diese Bestie an
der Spitze der viddani, mit eigenen Händen erwürgt
hätte. Doch dazu war es zu spät, auch wenn der Fürst sich weiterhin der
Illusion hingab, den Feind für seine Zwecke benutzen und gleichzeitig Geschäfte
mit ihm machen zu können.
    Auf die
Verbrechen und Attentate der viddani musste die
Staatsmacht schließlich reagieren. Dadurch wurde es auch [119]  für Montano
ungemütlich. Er konnte nicht zulassen, dass man allzu gründliche Nachforschungen
betrieb, und forderte von seinen Verbindungsleuten in der Politik, die
Ermittlungen einzuschränken, was ihnen aber nicht ausreichend gelang. Daher
beschloss er, seine Macht als Pate zu demonstrieren: Er ließ einen wichtigen
sizilianischen Politiker töten. Als ein Vertreter der größten Partei des Landes – die ein paar Jahre später genauso hinweggefegt werden sollte wie die
gemäßigte Mafia – nach Sizilien kam, um Rechenschaft für dieses Verbrechen zu
verlangen, lautete Stefano Montanos schroffe Antwort: »In Sizilien befehlen
wir, und wenn ihr nicht wollt, dass eure Partei vollständig ausgelöscht wird,
dann tut, was wir sagen. Sonst nehmen wir euch nicht nur die Stimmen aus
Sizilien weg, sondern auch die aus Kalabrien und aus ganz Süditalien. Dann
bleiben euch nur die Stimmen aus dem Norden, wo alle links wählen. Ohne unsere
Stimmen seid ihr nichts…«
    Doch auch
das nutzte nicht viel, weil die Corleonesen dank einiger Verbindungsmänner in
den staatlichen

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