Die rote Agenda
Institutionen in immer mehr Bereiche vordrangen.
Die Lage
verschlechterte sich weiter, bis schließlich der zweite Mafiakrieg ausbrach.
Der Fürst, der über eine starke Position in der bedeutendsten Partei des Landes
verfügte und einigen mächtigen korrupten Freimaurerlogen angehörte, gab sich
der Illusion hin, auf die Hilfe einflussreicher Wirtschaftsbosse und die
sizilianisch-amerikanischen Familien zählen zu können. Diese naive Einstellung
ließ ihn zu Unrecht und bis zuletzt hoffen, sein Charisma könnte die
Corleonesen abhalten, ihm nach Leib und Leben zu trachten.
[120] Am Ende
stand Montano ganz allein da. Selbst diejenigen, die ihn zuvor in ihren
vornehmen Salons respektvoll empfangen hatten, kehrten ihm den Rücken, jene
feine palermitanische Gesellschaft, die, wie ein sizilianischer Autor einmal
zutreffend geschrieben hatte, finster und skrupellos, fast gänzlich korrupt und
immer korrumpierbar sowie schamlos in ihrer Verschwiegenheitwar.
In jenen
dramatischen Jahren wurden die alten Mafiastrukturen und die alten Parteien
hinweggefegt. Das grausame Auftreten der Corleonesen veränderte die
Beziehungen, die jahrzehntelang zwischen Mafia, Politik und Institutionen
bestanden hatten und auf gleichberechtigter Zusammenarbeit und gegenseitigem
Respekt beruhten. Der Boss der Corleonesen, Totò ò zoppo – wegen einer
Gehbehinderung so genannt –, gab gleich zu verstehen, dass für ihn die
Politiker nur Vasallen waren. Er verfügte über unbeschränkte finanzielle und
militärische Mittel und erpresste mit blutigen Anschlägen den Staat.
In dieser
Übergangszeit voller Gewalt blieben viele Männer dem Fürsten treu und bezahlten
dafür mit ihrem Leben oder gingen ins Exil; andere hingegen verrieten ihn.
Zum Schluss
fiel auch Montano. Als er in einer Mainacht, nach der Feier seines
zweiundvierzigsten Geburtstages, mit einem Alfa Romeo 2000 bei heftigem
Gewitter auf einer Landstraße unterwegs war, geriet er in einen Hinterhalt.
Seine Leiche, durchsiebt von Kalaschnikowschüssen, wurde am nächsten Morgen
gefunden. Er saß in einer Blutlache, und als Geste höchster Verachtung hatte man
sein Gesicht mit Schüssen aus einer P38 zerfetzt.
Jahre
später, als er schon für Totò ò zoppo arbeitete, hatte [121] Trapani von ihm
erfahren, dass der Pate selbst es gewesen war, der Montano entstellt hatte,
eine barbarische Art, um seine Überlegenheit und den Sieg über seinen Feind
kundzutun.
Trapani
setzte ein kaltes Lächeln auf. Inzwischen waren jene, die den Fürsten verraten
hatten, fast alle tot oder im Gefängnis, und viele hatte er im Laufe der Jahre,
in denen er mächtiger und mächtiger wurde, persönlich eliminiert.
Nach
Stefano Montanos Tod hatte Totò ò zoppo Matteo Trapani bei sich aufgenommen.
Der Corleonese wusste nicht, dass der Fürst für Matteo mehr als ein Vater
gewesen war.
Für seine
neue Identität hatte Trapani als Geburtsdatum den Tag im Mai gewählt, an dem
sein Wahlvater geboren und gestorben war. Das war zwar ein Detail, doch durch
solche kleinen Dinge fühlte er sich bis heute dem Mann nahe, den er am meisten
bewundert hatte und dem gegenüber er noch immer ein hartnäckiges Schuldgefühl
empfand, weil er ihm bis zum Ende hätte nahe bleiben wollen, vielleicht um den
Preis seines eigenen Lebens. Doch es war Stefano Montano selbst gewesen, der
den siebzehnjährigen Matteo gezwungen hatte, die Insel zu verlassen.
Er berührte
das schmale Goldarmband, das er am Handgelenk trug. Ein Geschenk, das er nach
einer Partie Tennis beim Landhaus der Montanos vom Fürsten erhalten hatte. Als
sie sich über dem Netz die Hand gereicht hatten, hatte er das Armband
abgestreift und es Matteo gegeben.
»Du hast es
dir verdient. Bewahre es sorgfältig auf, mir hat es immer Glück gebracht.«
Zu jener
Zeit gehörte Matteo bereits zum Mafiaclan der Montanos, und oft war er
anwesend, wenn der kleine Kreis [122] jener Getreuen zusammenkam, denen der Fürst
in enger Freundschaft verbunden war.
Bei einem
dieser Treffen sagte der Fürst mit einem Lachen zu seinen Leuten: »Dieser picciriddu hier lernt das Handwerk von der Pike auf, aber
macht euch nicht allzu sehr über ihn lustig, er muss studieren. Vergiss nicht,
Matteo, Bildung ist alles. Wenn du zu wenig weißt, können sie mit dir machen,
was sie wollen.«
Bevor
Matteos Vater als junger Mann einem Herzinfarkt erlag, hatte er als Aufseher im
Landhaus des Paten gearbeitet. Matteo, durch den frühen Tod der Mutter bereits
Halbwaise, war auf
Weitere Kostenlose Bücher