Die rote Agenda
dem riesigen Besitz großgeworden, zwischen Orangenhainen und
Feigenkakteen. Nach dem Tod seines Vaters war er einem Onkel anvertraut worden,
der den Vater auch als Aufseher ersetzt hatte. Im Sommer kam die Familie
Montano aufs Land, um der Hitze in Palermo zu entfliehen, und Matteo konnte mit
Stefanos Töchtern spielen, für die er wie ein Bruder war. Er hatte sich immer
als Teil der Familie gefühlt und nicht nur als Teil der Mafiafamilie, denn der
Pate hatte sich um ihn gekümmert wie um einen Sohn.
Als alles
langsam zusammenbrach, wollte der Fürst, wenige Monate, bevor er getötet wurde,
mit ihm allein sprechen. An jenem Tag peitschte der Scirocco die Palmen und
brachte den roten Sand aus Afrika mit sich. Matteo sah in dieser Erinnerung den
Grund seiner tiefen Abneigung gegen Wind.
»Komm,
Matteo, ich muss dir etwas sagen.« Stefano hatte ihn in den Festsaal gebracht,
wo die Diwane und Möbel mit gespenstischen weißen Tüchern abgedeckt waren.
»Setz dich
hin und hör mir gut zu.« Montano zerzauste [123] ihm die dunklen Haare, die in
seine Stirn fielen. »Die Dinge entwickeln sich zum Schlechten, und du musst mir
versprechen zu tun, was ich für dich entschieden habe.«
Der Fürst
sagte, dass er schon alles geregelt habe, um ihn aus Palermo wegzubringen.
Matteo würde auf ein Internat im Norden gehen, um dort seine Schulzeit
abzuschließen. Als er zu protestieren versuchte, sah Montano ihm streng in die
Augen.
»Es geht
darum, dich zu retten, da gibt es nichts zu diskutieren. Früher oder später
werden sie mich umbringen. Um mich herum ist es leer geworden, alle haben mich
verraten; und die es nicht getan haben, sind getötet worden oder mussten
fliehen, wie Tommaso, Leonardo und viele andere. Du bist groß genug, diese
Dinge zu verstehen. Hier auf der Insel betrachtet dich mancher schon als einen picciotto der Montanos, und wir müssen sie vom Gegenteil
überzeugen. Versprich mir, dass du tust, was ich dir sage.«
Natürlich
hatte er gehorcht und wenige Tage darauf Sizilien verlassen, um auf ein
Jesuitenkolleg im Norden zu gehen. Als man ihm dann später die schrecklichen
Fotos der Leiche des Fürsten zeigte, schwor er sich, dass er ihn rächen würde.
Mit
zweiundzwanzig Jahren war Matteo nach Abschluss eines
wirtschaftswissenschaftlichen Studiums nach Sizilien zurückgekehrt, obwohl die
Familie Montano ihn inständig bat, es nicht zu tun. Die Corleonesen hatten sich
seit geraumer Zeit der Insel bemächtigt, doch niemand schien sich an ihn zu
erinnern. Matteo wusste jedoch, dass das Gedächtnis der Mafiosi gut ist, und
tat deshalb alles, das Vertrauen der viddani zu
gewinnen, um nicht das Ende so vieler picciotti zu
nehmen, doch vor allem, weil er eine Vendetta plante. Er [124] brauchte Zeit und
List dafür, doch schließlich wurde er der rechte Arm von Totò ò zoppo. Der
Corleonese schätzte ihn wegen der Grausamkeit, die Matteo an den Tag legte,
doch vor allem wegen der Geschicklichkeit, die er bei Geschäften bewies, und
weil er studiert hatte. Totò ò zoppo war eine Bestie, doch kein Dummkopf, und
er hatte verstanden, dass Matteo mit hochgestellten Geschäftspartnern auf
Augenhöhe verhandeln konnte.
Nachdem das
Kassationsgericht in der Berufung die Urteile des Maxi-Prozesses, der Jahre
zuvor eine große Zahl von Mafiosi ins Gefängnis gebracht hatte und in dem – wenn auch in Abwesenheit – sowohl Totò ò zoppo als auch il Vecchio, sein erster
Kommandant, zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt worden waren, bestätigt
hatte, stieg die Anzahl der Verbrechen exponentiell und gipfelte in den Morden
an den beiden Richtern und einer Serie von Terroranschlägen in italienischen
Großstädten. Die Corleonesen hatten dem Staat den Krieg erklärt, und der Staat
hatte reagiert.
Um der
Festnahme zu entgehen, tauchte Matteo unter und nahm nach der Verhaftung von
Totò ò zoppo eine immer wichtigere Position innerhalb der Cosa Nostra ein. Er
und il Vecchio, der ebenfalls untergetaucht war, lenkten die Cosa Nostra und
ihre Geschäfte.
Über Jahre
wuchs Trapanis Macht weiter – und zusammen mit ihr sein Rachedurst. Totò ò
zoppo wurde zwar schließlich festgenommen, doch es blieben die anderen, die
hochgestellten Männer in den Institutionen und der Finanzwelt, die sich mit den viddani verbündet und Montanos Tod verfügt hatten und
so an sein Vermögen gekommen waren.
Matteo
Trapani wusste sehr wohl, welches Ende das [125] riesige Vermögen des Fürsten, in
den fernen siebziger Jahren auf
Weitere Kostenlose Bücher