Die rote Agenda
Art mit Ihr an.
Alimante
nickte lächelnd und erwiderte: »Ich bitte Euch darum, Don Attilio!«
»Wisst Ihr,
ich besitze auch einen Rothko«, fuhr der Alte [108] fort, »doch nur wenige auf
dieser unglückseligen Insel, wo ich zu meinem Missgeschick geboren wurde, sind
in der Lage, ihn zu schätzen. Es ist ein helleres Bild als Eures, in Rottönen.
Es erinnert mich an die Sonnenuntergänge in Palermo, rot wie unsere Orangen und
wie das Blut«, fügte er sibyllinisch und theatralisch hinzu und sah seinem
Gesprächspartner fest in die Augen.
Alimante
lächelte bei sich darüber, wie Branca sein Interesse an Kultur äußerte, und
betrachtete ihn mit mehr Aufmerksamkeit. Branca war die normannische Herkunft
noch anzusehen, er war großgewachsen und hatte rotblondes Haar und blaue Augen,
die so wenig dazu passten, wie der Rest der Welt sich einen typischen
Sizilianer vorstellt. Er war sehr elegant, wenn auch der Anzug, wahrscheinlich
wegen der Krankheit, ein wenig weit wirkte. Alimante musste zugeben, dass
Branca jene unverwechselbare Vornehmheit des alten Adels im Süden hatte – und
das obwohl er sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht hatte, nicht zuletzt
des Auftragsmordes.
Nachdem sie
Kaffee getrunken und sich dabei über dies und jenes unterhalten hatten, kam
Alimante zur Sache. »Sagt mir, Don Attilio, welchem Umstand verdanke ich Euren
geschätzten Besuch?«
»Habt Ihr
meinen Brief gelesen?«
»Natürlich.
Und ich verhehle nicht, dass er mich neugierig gemacht hat. Wenn ein solches
Schreiben von irgendeinem anderen gekommen wäre, hätte ich dem keinerlei
Gewicht gegeben. Doch da Ihr es mir geschickt habt, liegen die Dinge anders.«
Branca
schien es zu schätzen, dass Alimante ihm [109] schmeichelte und sich diesem
Austausch übertriebener Höflichkeiten nicht widersetzte. Es war eine
freundliche Art, dafür zu sorgen, dass sein Gast sich wohl fühlte, und Branca
interpretierte es ganz richtig als Bekundung, dass Alimante nicht am Wert
seiner Enthüllungen zweifelte.
»Wie
Rechtsanwalt Bastiani Euch schon gesagt hat, Don Giorgio, werde ich diese Welt
bald verlassen. Die Ärzte geben mir nur noch wenige Monate. Als ich dies
erfuhr, beauftragte ich meinen treuen Salvatore, ein Dokument für mich zu
holen, das sich seit vielen Jahren in meinem Besitz befand und das ich in einer
Londoner Bank aufbewahrte. Salvatore ging wie immer umsichtig und schnell vor.
Aber jemand war geschickter und listiger als wir. Die Verräter liegen immer im
Hinterhalt… Um es kurz zu machen: Die Person, die damit beauftragt war, das
Dokument aus der Bank zu holen und es Salvatore zu übergeben, wurde abgefangen,
des Dokuments beraubt und barbarisch getötet. Leider haben wir es nicht nur mit
Verbrechern, sondern mit Mördern zu tun«, fügte er finster hinzu.
Es folgten
einige Augenblicke des Schweigens, in denen es so schien, als sei Branca noch
erschüttert über das tragische Schicksal des Mannes in London. Aber als er
Alimante erneut ansah, leuchtete in seinem Blick pure Grausamkeit auf, was er
jedoch sofort wieder mit einem betrübten Ausdruck verbarg.
Alimante
hütete sich, Bemerkungen zu machen, und Branca fuhr fort.
»Als ich
von meiner Krankheit erfuhr, beschloss ich sofort, Euch dieses Dokument zu
übergeben, weil ich sicher war, dass nur Ihr den besten Gebrauch davon machen [110] könntet.
Leider wird mein Wunsch nicht in Erfüllung gehen, jedenfalls nicht wie geplant.
Ich kenne Euch als einen gerechten Mann, Don Giorgio, und ich bin hier, um
Euch, in Erwartung meines baldigen Todes, um einen Akt der Gerechtigkeit zu
bitten. Die Fotokopie des Dokuments, das ich Euch übergeben werde, enthält
außergewöhnlich wichtige Enthüllungen für unser Land, und wenn ich sie bisher
für mich behalten habe, dann nur aus Mangel an Vertrauen in die Institutionen.«
Branca
seufzte und starrte ins Leere, in seinen Augen stand Enttäuschung geschrieben.
»In diesen langen Jahren habe ich vergebens darauf gewartet, dass im
öffentlichen Leben Italiens eine vertrauenswürdige Persönlichkeit hervortreten
würde. Doch die Einzigen, denen ich hätte vertrauen können, waren jene armen Richter,
die man ermordet hat.«
Alimante
tat, als entginge es ihm, wie unverfroren es war, dass ein Mann, der
jahrzehntelang mit der Mafia zusammengearbeitet hatte, so etwas sagte. Und was
für Enthüllungen dieses phantastische Dokument auch immer enthielt, Branca
hatte sie mit Sicherheit benutzt, um zu erpressen, zu spekulieren und jede
Weitere Kostenlose Bücher