Die rote Agenda
entführt wurde. Offensichtlich hatte Branca einen Maulwurf unter seinen
Leuten. Trapani konnte sich ungefähr vorstellen, wer den Hinterhalt organisiert
hatte: Diverse Politiker kamen in Frage, denn würde diese Agenda allgemein
bekannt, dann würden viele Köpfe rollen.
Aus Ärger
über die Weigerung des alten Branca hatte Matteo im ersten Moment daran
gedacht, ihn töten zu lassen, sich dann aber eines anderen besonnen. Im Grunde
hatte er Branca nichts vorzuwerfen, früher war er ein treuer [128] Verbündeter des
Fürsten gewesen. Aus Respekt vor einem Ehrenmann seines Alters teilte er ihm
sogar mit, dass er mit dem Mord an Tano Terlizzi absolut nichts zu tun habe.
Der Alte glaubte ihm und ließ ihm eine wesentliche Information zukommen: Bevor
er entführt wurde, hatte Tano die Agenda im Auktionshaus Sommer’s zwischen den
Dokumenten eines Arthur-Conan-Doyle-Archivs versteckt. Trapani war schnell auf
Lowelly Grey gekommen, doch als seine Leute ihm gerade einen Besuch abstatten
wollten, war der Doyle-Experte schon tot. Eine Sache, die ihn zutiefst empörte,
nicht nur, weil er von Lowelly Grey nichts mehr hatte erfahren können, sondern
auch, weil er Sherlock Holmes verehrte.
Weitere
Nachforschungen hatten ihn zu Peter Ward geführt, den ehemaligen Partner
Lowelly Greys. Bedroht von einer Pistole, hatte er sich nicht nur entlocken
lassen, dass er die Agenda an Professor Astoni geschickt hatte, sondern auch
von den beiden Kerlen berichtet, die in seine Wohnung eingedrungen waren und
den Beleg für die Sendung gefunden hatten. Leider waren seine Männer auch in
Astonis Wohnung zu spät gekommen: Irgendjemand hatte sie schon durchsucht, und
von der Agenda gab es ebenso wenig eine Spur wie vom Professor.
Durch
Nachforschungen hatte er dann herausgefunden, dass die Mörder von Tano und
Lowelly Grey, jene, die Peter Ward zu Tode erschreckt hatten, keine picciotti waren, sondern Killer, die weder mit der
sizilianischen Cosa Nostra noch mit der kalabrischen ’Ndrangheta oder der
Camorra etwas zu tun hatten, folglich Auftragsmörder von außen sein mussten.
Trapani
konnte sich schon denken, wer hinter alldem [129] steckte. Er wusste, wie die
Dinge vor sechzehn Jahren abgelaufen waren und wer Totò ò zoppo den Auftrag zur
Ermordung der beiden Richter gegeben hatte. Er wusste, was in der Agenda stand,
doch wenn er sie erst in Händen hätte, würde sie das bevorzugte Instrument
seiner Rache werden. Etwas jedoch wusste er nicht mit Gewissheit: ob die Agenda
schon in den Händen des Mannes war, der den Einbruch in Auftrag gegeben hatte.
Das Verschwinden von Paolo Astoni gab ihm zu denken, denn wenn es den beiden
Killern gelungen wäre, die Agenda zu finden, hätten sie den Professor mit
Sicherheit getötet, ohne sich darum zu kümmern, die Leiche zu beseitigen. Doch
so hatte es sich nicht abgespielt, und deshalb stimmte da etwas nicht.
Noch in
Gedanken versunken, verließ Trapani sein Schlafzimmer, um seine Gäste zu
begrüßen. Er lächelte amüsiert bei der Vorstellung, dass einige der wichtigsten
Mitglieder der feinen Gesellschaft Turins zur großen Villa auf dem Hügel
heraufkommen würden, um zwei Mafiosi zu feiern, einer tot, der andere, Gott sei
Dank, noch bei bester Gesundheit. Das Lächeln lag noch auf seinen Lippen, als
er auf dem Gang auf seine Frau stieß. Er betrachtete sie und bewunderte das
Kleid, das sie für diese Gelegenheit gewählt hatte.
»Schatz,
warum lächelst du? Steht mir das Kleid nicht?«, fragte Betta unsicher.
»Im
Gegenteil, es steht dir ausgezeichnet«, antwortete er und streifte ihre Wange
mit einem Kuss. »Eine sehr geschmackvolle Toilette, perfekt für ein déjeuner sur l’herbe «, fügte er ironisch hinzu. Er hakte
sie unter, und gemeinsam gingen sie die breite Treppe hinab, die ins
Erdgeschoss führte.
Durch das
Fenster zum Park sah Matteo, wie einige [130] Wagen die Allee zur Villa
hinauffuhren. Weiße Gartenpavillons aus Leinen standen auf dem Rasen vor dem
Laubengang und schützten das Büfett, um das herum eine Schar von Kellnern
beschäftigt war, vor der Sonne. Das Catering war vom besten Restaurant der
Stadt besorgt worden, und ein kleines Streichorchester stimmte die Instrumente.
Matteo erkannte den Sohn eines Industriellen, seit kurzem Geschäftsführer der
väterlichen Firma, mit seiner jungen Frau, gefolgt von einer berühmten
französischen Schauspielerin, die gerade aus Cannes kam, in Begleitung ihres
Mannes, eines Produzenten. Es mochten um die hundert Gäste
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