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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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gesellschaftlichen Stellung hatte
nichts mit einem Hausmeister gemein, auch wenn dieser im Dienst der mächtigsten
Familie Palermos stand.
    Trapani
verstand die Anspielung auf Stefano Montano sofort. Vielleicht, dachte er,
hatte Branca seine Einstellung bezüglich der Agenda des Richters geändert.
    »Don
Attilio, ich möchte Euch unbedingt noch sehen«, sagte er in ehrerbietigem Ton.
»Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr in Turin seid, hätte ich Euch für heute
eingeladen, denn ich habe Geburtstag und feiere ein Fest«, führte er
absichtlich sehr genau aus. »In meiner Villa sind im Augenblick viele Gäste,
ich bin sicher, Ihr hättet Euch amüsiert. Aber sagt mir, wann soll ich kommen
und Euch meine Reverenz erweisen? Ich stehe vollkommen zu Eurer Verfügung.«
    Branca
verstand die Botschaft und lächelte. Heute war der Geburtstag von Stefano
Montano – und auch sein Todestag. Trapani war dem Fürsten treu geblieben und
gedachte ihm so. Also hatte er sich bei der Interpretation des vor vielen
Jahren erhaltenen Briefs nicht getäuscht.
    [168]  Sie
vereinbarten, sich am gleichen Abend in Brancas Hotel zu treffen, doch der Alte
gab acht, dass die Verabredung nicht mit dem Besuch Alimantes kollidierte. Er
würde den Paten als Zweiten empfangen, zuerst wollte er mit dem Turiner reden.

[169]  23
    Verena
bereitete mit dem Wasserkocher, der sich in ihrem Gefängnis befand, einen Tee
für Paolo Astoni. Der Raum, in den man sie eingeschlossen hatte, verfügte über
den Komfort eines drittklassigen Hotels: ein enges Zimmer, zwei Betten, ein Bad
mit Badewanne, eine Kochecke mit Elektroherd, ein kleiner Kühlschrank und ein
paar Vorräte auf einem Formicatisch: Kekse und Kräcker. Im Kühlschrank
Mineralwasser und eine Tüte Milch.
    Alles war
so schnell gegangen, dass Verena keine Zeit gehabt hatte, Angst zu bekommen.
Nachdem sie Franz niedergeschlagen hatten, hatten die drei falschen Mediziner
sie gezwungen, das Hotel zu verlassen und vor dem Hotelpersonal ihre Rollen zu
spielen. Man hatte sie und Paolo – ihn auf einer Trage – in den vor dem Hotel
wartenden Krankenwagen verfrachtet, der sofort mit heulenden Sirenen losfuhr.
Einer der Männer hatte ihnen die Augen verbunden und sie geknebelt, und nach
einer Fahrt von zwanzig Minuten waren sie in ihrem Gefängnis angekommen.
    Die drei
Männer des Kommandos, die untereinander eine ihr unbekannte, wahrscheinlich
slawische Sprache sprachen, hatten sie nicht misshandelt und sich darauf
beschränkt, sie in dieses Zimmer einzusperren.
    [170]  Paolo
Astoni schien es, trotz allem, besserzugehen. Der Adrenalinstoß tat seine
Wirkung, und als Verena ihm die Tasse Tee reichte, lächelte er sie mit
funkelnden Augen an.
    »Wie geht
es dir, Paolo?«
    »Sehr gut.
Es ist seltsam, doch ich habe das Gefühl, als würde ich dadurch, dass ich ein
Gefangener dieser Leute bin, von dem befreit, was ich zu Recht oder zu Unrecht
als mein Duckmäusertum betrachte – die fatalistische Billigung des Systems, das
mein Land korrumpiert hat. Was habe ich unternommen, im Gegensatz zu all den
Menschen, die sich aufgeopfert haben? Ich habe mich in der Universität
verkrochen und dann, als Emeritus, in die Sicherheit meiner Bücher geflüchtet,
um mich selbst zu bemitleiden. Erbärmlich! Jetzt aber stehe ich Auge in Auge
diesem Gesindel gegenüber, und dadurch fühle ich mich wieder lebendig. Nur
etwas tut mir schrecklich leid: Ich fühle mich dir gegenüber furchtbar
schuldig, weil ich dich in diese Sache mit hineingezogen habe.«
    Verena
betrachtete diesen alten Mann, dem sie herzlich zugetan war. Sie verstand, was
seine ein wenig überdrehte Erregung ausgelöst hatte, und sie verstand auch die
tiefe Bedeutung seiner Worte. Paolo fürchtete sich nicht zu sterben, denn sein
Tod hätte auf gewisse Weise die Schuld getilgt, die er gegenüber jenen empfand,
die sich der Mafia entgegengestellt hatten und zu ihren Opfern geworden waren.
    »Du wirst
nicht sterben, und ich auch nicht«, sagte sie und streichelte ihm über die
Wange. Doch sie glaubte ihre eigenen Worte nicht, sie wollte ihm nur ein wenig
Mut machen.
    »Und
außerdem«, fügte sie in einem etwas allzu [171]  übermütigen Ton hinzu, »musst du
wissen, dass ich nicht zum ersten Mal in Lebensgefahr bin, seit ich Ogden
kenne. Also musst du kein Schuldgefühl haben, es ist Schicksal, dass sich unser
aller Wege gekreuzt haben. Und dagegen kann man nichts tun.«
    Astoni
schüttelte den Kopf. »Ich habe nie ans Schicksal geglaubt, auch wenn ich,

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