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Die rote Agenda

Die rote Agenda

Titel: Die rote Agenda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liaty Pisani
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Freundinnen Augenlider,
Busen und vieles mehr gerichtet hatte. Am selben Tisch saßen ein Stadtrat und
ein Textilindustrieller mit ihren jeweiligen Gattinnen.
    Elisabetta
freute es immer zu sehen, wie beliebt Lorenzo in der geschlossenen und elitären
Oberschicht Turins geworden war. Sie war sich sicher, dass der Anklang, den er
fand, nicht allein mit seinem geschäftlichen Erfolg und Reichtum zu tun hatte,
sondern eher mit dem gewinnenden Wesen und seinem Charme, dem alle auf die eine
oder andere Weise zu erliegen schienen.
    [165]  Wenn sie
ihn wie in diesem Moment beobachtete, ohne dass er es bemerkte, konnte sie
nicht anders, als sich zu fragen, wieso ein solcher Mann gerade sie gewählt
hatte. Sie wusste, dass sie nicht schön und auch nicht besonders klug war,
während auf Lorenzo beides zutraf. Auch wenn sie, wie ihre Mutter oft sagte,
eine angeborene Eleganz hatte und sich in Gesellschaft auf die richtige Art zu
bewegen wusste, so hielt Betta diese mutmaßlichen Gaben nicht für ausreichend;
außerdem hatten sie mit ihrer Herkunft zu tun und waren nicht ihr Verdienst.
Gewiss, sie sprach mehr Sprachen als Lorenzo, dessen Kenntnisse sich auf
Französisch und Englisch beschränkten, doch was die Ausbildung anging, so hatte
sie nur ein Jahr an der Fakultät für Kommunikationswissenschaften absolviert
und konnte sich nicht als Intellektuelle bezeichnen.
    Lorenzo
dagegen hatte mit Auszeichnung in Wirtschaftswissenschaften promoviert. Er las
viel und – als wäre das noch nicht genug – liebte die Kunst, von der sie nichts
verstand. Doch was ihr anhaltendes Minderwertigkeitsgefühl verstärkte, war das
Bewusstsein, dass sie, da sie in ihrem Leben nie gearbeitet hatte, nicht
gewusst hätte, wie sie sich ohne ihren Mann hätte durchbringen können.
    Zum Glück
würde sich dieses Problem nie stellen. Großzügig hatte Lorenzo ihr im letzten
Jahr ein elegantes Wohnhaus mit sieben Stockwerken im Zentrum von Turin
überschrieben, außerdem eine Villa in Sardinien und eine in Cortina sowie ein
ansehnliches Aktienportefeuille. Wenn er sie verlassen würde, könnte Betta
ihren Lebensstandard halten, ohne beweisen zu müssen, dass sie über
irgendwelche Fähigkeiten verfügte. Sie bräuchte lediglich ein paar Immobilien
zu verkaufen und ihr Kapital zu verwalten.
    [166]  Doch es
war nicht das materielle Überleben, das sie beunruhigte. Allein die
Vorstellung, Lorenzo könnte sie für eine andere Frau verlassen, vielleicht eine
schönere, jüngere und intelligentere, war ihr unerträglich.
    Und so
verscheuchte sie einen solchen Gedanken, wenn er in ihren Kopf geriet, schnell
in das Labyrinth ihrer unsicheren Psyche, auch wenn sie sich dadurch gezwungen
sah, gleich zu Lorenzo zu laufen, um eine sofortige Bestätigung seiner Liebe zu
erbitten.
    Betta sah,
dass Lorenzo vom Tisch aufstand und sich dem Park zuwandte. Er telefonierte,
ging langsam, nickte von Zeit zu Zeit, während er sich von den Tischen
entfernte. Sie fragte sich, mit wem er sprach, unsicher, ob sie zu ihm hingehen
sollte oder nicht. Da hakte ihre Freundin Carla sie unter und befreite sie aus
der Verlegenheit.
    »Betta, du
kannst doch nicht hierbleiben, so ganz allein«, tadelte sie die Gastgeberin mit
einem Lächeln. »Was für ein herrliches Fest! Komm, Rosa und Annette wollen dich
etwas fragen.«
    Carla zog
sie zum Tisch der beiden Freundinnen, die sie herzlich begrüßten. Bevor sie
sich setzte, wandte Betta sich um und schaute noch einmal nach Lorenzo, der
sich inzwischen weit entfernt hatte.
    Matteo Trapani war am Telefon mit Attilio Branca. Das Gespräch
wurde nach undurchsichtigen Regeln geführt, wie sie nur zwei Sizilianer
verstehen. Wenn jemand gelauscht hätte, er hätte nur gehört, wie die beiden
Männer sich verabredeten, und ihm wäre aufgefallen, dass der Ältere einen triftigen
Grund hatte, auf das Treffen zu drängen.
    [167]  »Ich
würde mich wirklich freuen, dich nach so langer Zeit zu sehen«, sagte Branca.
»Es geht mir nicht so gut, ich bin nach Turin gekommen, um einen Arzt
aufzusuchen, und werde noch ein paar Tage bleiben. Ich bin ja jetzt ein alter
Mann«, fuhr er mit einem Anflug von Koketterie und einem leisen Lachen fort,
als wollte er die traurige Wahrheit entdramatisieren. »Man weiß nie: Es könnte
das letzte Mal sein, dass wir uns sehen. Du weißt ja, dein Vater und ich, wir
standen uns sehr nah…«
    Natürlich
hatte Attilio Branca Matteo Trapanis Vater, den Aufseher der Villa der
Montanos, nicht gekannt; ein Mann seiner

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