Die rote Agenda
ohne den Blick von der Eingangstür zu wenden. Auf
dem Weg hierher hatte er sich einen Notfallplan zurechtgelegt: Sie würden nach [314] Civitavecchia
fahren, um von dort an Bord eines Frachters nach Sizilien zu reisen, dessen
Eigentümer ihm einen Gefallen schuldete. Wenn sie erst auf der Insel wären,
würden sie für ein paar Tage ein sicheres Versteck finden, bis sie den Flug
nach Südamerika organisiert hätten.
Man hörte
den Summer der Tür, und der Senator trat ein. Der Friseur ging ihm entgegen und
begrüßte ihn überschwenglich.
»Senatore,
was für eine angenehme Überraschung. Ich habe Sie Donnerstag erwartet, wie
immer.«
»Lieber
Ambrogio, lassen Sie uns in Ihr Büro gehen, ich muss mit Ihnen sprechen.« Der
Senator hakte ihn unter und gab dem Sizilianer ein Zeichen, ihnen zu folgen.
Erfreut über
diese freundschaftliche Geste, errötete der Friseur. Er öffnete eine Tür, ließ
den Senator und den Sizilianer vorgehen und schloss die Tür gleich wieder
hinter sich.
»Was kann
ich für Sie tun?«, fragte er mit einem Zwinkern.
»Ich
versuche einige Journalisten abzuschütteln, die Jagd auf mich machen. Ihr Auto
steht da draußen. Es sind heikle Zeiten, Sie verstehen mich, nicht wahr?«
Der Friseur
nickte und sah ihn bewundernd an. »Aber ja, Senatore! Diese Kommunisten, immer
auf der Jagd nach Skandalen, um der Regierung zu schaden«, murmelte er, voller
Stolz, zum Vertrauten erhoben worden zu sein.
Der Senator
nickte. »Genau. Jetzt möchte ich Ihren Salon unauffällig verlassen. Durch den
Hinterausgang, wie ich es schon früher manchmal getan habe«, fügte er hinzu und
lächelte.
»Kein
Problem, kommen Sie.«
[315] »Noch
etwas, Ambrogio. Ich brauche ein Auto, wenn ich sie abhängen will. Mir fehlt
die Zeit, auf ein Taxi zu warten.«
»Sie können
mein Auto nehmen, es steht im Hof. Die Fernbedienung, um das Gittertor zur Via
della Penitenza zu öffnen, liegt im Wagen. Stellen Sie das Auto ab, wo es am
günstigsten für Sie ist, ich lasse es dann holen, wenn Sie es nicht mehr
brauchen.«
Der Senator
zog aus der Innentasche des Jacketts sein Scheckheft hervor, stellte schnell
einen Scheck aus und reichte ihn dem Friseur. »Hier bitte, für Ihre Mühe.«
Der Friseur
wurde puterrot. »Senatore, Sie beleidigen mich. Es ist mir eine Ehre, Ihnen zu
helfen!«
»Ich bitte
Sie, nehmen Sie es an, Ambrogio. Die Zeiten ändern sich, und ich will, dass Sie
mich in guter Erinnerung behalten«, beharrte er nachdrücklich.
Gerührt
nahm der Mann das dünne Blatt Papier und warf sich fast vor ihm auf die Knie,
als er den Betrag las. Doch der Senator konnte ihn gerade noch davon abhalten.
»Kommen
Sie, Ambrogio, lassen Sie das! Und nun bringen Sie uns zum Auto.«
Zehn
Minuten später betraten die Männer des Dienstes, die vor dem Eingang gewartet
hatten, den Salon und unterzogen den Friseur einem strengen Verhör. Doch da war
der Senator schon weit weg.
[316] 46
Salvatore
Partanna schluckte die Tränen hinunter. Der Friedhof wirkte an diesem nebligen
Frühlingsmorgen beinahe surreal, man hätte meinen können, es sei November, denn
es war auch kalt. Viele Menschen hatten an der Messe teilgenommen und den Sarg
bis zum Friedhof Verano begleitet: zwei Politiker, zahlreiche Vertreter der
feinen römischen Gesellschaft und der Führungsschicht des Landes, von denen
einige auch aus Sizilien angereist waren. Alle hatten sich verpflichtet
gefühlt, dem Mann, der im Guten wie im Schlechten zu den bedeutendsten
Persönlichkeiten der Ersten Republik gehört hatte, die letzte Ehre zu erweisen.
Branca war
zwei Tage zuvor in einer römischen Fünf-Sterne-Klinik gestorben. Er war
friedlich entschlafen, jedenfalls war es Salvatore so erschienen, der ihn
keinen Augenblick allein gelassen hatte, als klarwurde, dass das Ende nahte.
Seine letzten Worte waren an ihn gerichtet gewesen.
»Gib acht,
Salvatore, bald beginnt ein Totentanz, und dann gibt es ein Hauen und Stechen.
Vergiss nicht: Nur Giorgio Alimante repräsentiert die wahre Macht. Vertraue ihm
und halte dich bedeckt«, hatte Branca mit schwacher Stimme geflüstert. Dann
hatte er Salvatores Hand fest umfasst – als könnte er, wenn er sich an seinen
Schützling klammerte, am Leben bleiben – und die Augen für immer geschlossen.
[317] Salvatore
hatte viel über diese letzten Worte nachgedacht, voller Rührung, dass der Pate
sich bis zuletzt um ihn gesorgt hatte. Natürlich würde er ihm gehorchen, doch
erst, nachdem er seinen Plan bis zum Ende
Weitere Kostenlose Bücher