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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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umgebracht?

    Die Matrosen fingen an, den Körper herauszuziehen. Ein weiteres Boot legte neben dem Segelboot an. Darin befanden sich zwei Matrosen mit Waffen in den Händen.

    Der Körper war jetzt zur Hälfte aus dem Wasser heraus. Hans Höjers Gesicht war gelb geworden. Das eine Auge war halb geöffnet, als wollte er noch bis in den Tod hinein wissen, was eigentlich um ihn herum geschah.
    - Dieser Mann ist getötet worden, sagte Roslund. Sicher habe ich in meinem Leben schon so manches gesehen. Aber noch nie so einen kleinen schwarzen Satan allein draußen auf dem Sund. Warum versteckt sich das Mädchen unter der Decke?
    Daniel dachte, er sollte etwas sagen. Aber Sanna, die weiter unter ihrer Decke summte, störte ihn und machte, daß er die Worte nicht fand.
    Zugleich ertönte ein Pfeifsignal von dem großen Schiff. Es durchschnitt die Morgendämmerung und scheuchte ein paar Möwen auf.
    - Verdammt, sagte Roslund. Was treibt denn den König so früh aus dem Bett?
    Er drehte sich um und grüßte. Ein Mann mit grauem Bart stand an der Reling. Er war von zwei in Schwarz und Weiß gekleideten Männern flankiert. Einer hielt ein Tablett in den Händen, der andere ein Handtuch.
    - Was gibt es? fragte der Mann mit dem grauen Bart.
    - Ich weiß nicht, Eure Majestät. Aber wir haben entdeckt, daß hier jemand dabei war, eine Leiche über Bord zu kippen.

    Inzwischen hatte sich eine ganze Anzahl von Leuten an der Reling des großen Schiffs versammelt. Darunter war eine Frau. Aber der Mann mit dem grauen Bart bedeutete ihr, sich zu entfernen.
    - Wer versteckt sich unter der Decke?

    Einer der Matrosen zog das Tuch weg. Sanna schloß die Augen und hielt sich die Hände vors Gesicht. Sie summte weiter, lauter jetzt, und schaukelte vor und zurück.
    - Holt sie an Bord, sagte der König. Aber es ist vielleicht besser, den Negerjungen zu fesseln. Ein sehr sonderbares Erwachen, ich muß schon sagen. Die Sonne geht im Dunst auf, und das erste, was man zu sehen bekommt, ist ein kleiner schwarzer Junge, der einen Mord begangen hat.
    Roslund zeigte auf zwei von den Matrosen. Einer von ihnen nahm seinen Gürtel ab und versuchte, Daniels Hände einzufangen. Aber Daniel schnappte mit den Zähnen nach seinem Handgelenk. Der Matrose schrie auf und ließ Daniel los, der sofort über Bord kletterte. Ihm blieb nichts anderes übrig. Noch einmal war seine Heimreise unterbrochen worden. Jetzt war er von weißgekleideten Menschen umringt, die ihn fesseln wollten. Dann konnte er genausogut sterben. Tief unten im Meer würde er dann herumtreiben, bis er irgendwann nach Hause kam. Besser das, als hinter Hallens Kirche in der Erde vergraben zu werden, wo niemand ihn je finden würde.
    Aber er kam nicht weiter als den halben Weg bis zum Wasser hinunter. Es war keiner der Matrosen, der ihn aufhielt, sondern Sanna, die sich plötzlich auf ihn warf. Er versuchte sich loszureißen, aber sie hielt ihn fest, und sie war stark. Er biß und zerrte, aber das schien sie nicht zu kümmern.
    - Ich will nicht, schrie er. Ich will nach Hause. Irgendwo aus
    seinem Inneren quoll seine alte Sprache herauf und drängte sich zwischen all den Worten durch, die er hatte lernen müssen. Be und Kiko waren in ihm, ihre Stimmen riefen Sanna zu, und sie wehrten sich genauso wie er selber. Sie wollten ihn nicht loslassen, nicht jetzt, wo er so nahe bei ihnen war.

    - Wir werden nicht ertrinken, schrie Sanna. Wir werden wieder nach Hause fahren. Komme es, wie es wolle. Aber wir fahren nach Hause.

    In diesem Augenblick erkannte Daniel, daß Sanna ihn verriet. Sie ließ ihn nicht sterben. Sie zwang erst Be und dann Kiko, ihn aus ihrem Griff zu entlassen. Zwei von den Matrosen zogen ihn an Bord und banden ihm die Arme mit dem Gürtel auf den Rücken. Er leistete keinen Widerstand mehr. Er schloß nur die Augen und versuchte einzuschlafen, das Herz zu zwingen, daß es zu schlagen aufhörte. Er merkte, daß er aufgehoben und weggetragen wurde, und dann lag er ganz still.

    Als er die Augen aufschlug, stand der Mann mit dem grauen Bart da und betrachtete ihn. Das Weiß in seinen Augen war von roten Äderchen durchzogen.

    - Wohl kaum ein Untertan, sagte er. Nicht einmal in den entlegensten norwegischen Fjällgegenden findet sich etwas dergleichen. Ein Neger.

    Der Mann sah zu Kapitän Roslund auf, der neben ihm stand.
    - Was sagt das Mädchen?

    Roslund streckte sich und hielt die Arme stramm an die Seiten gelegt.
    - Das Mädchen scheint, ehrlich gesagt, nicht ganz bei Trost zu

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