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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nicht mehr. Jetzt gab es nur noch ihn und Daniel und den Kognak, der dafür sorgte, daß er sich wieder so fühlte, als stünde er auf einem schaukelnden Schiffsdeck.

    Er ging wieder hinein, zahlte seine Getränke und hörte die Frauen im Dunkeln lachen, als er durch die Portiere verschwand. In diesem Moment bin ich ein Mensch, dachte er, der eine Reihe von Dingen zum letzten Mal macht. In dieses Zimmer werde ich nie mehr zurückkehren.

    Als er ins Eckzimmer hinaufkam, schlummerte das Stubenmädchen in einem Sessel. Daniel schlief. Das Mädchen schrak zusammen, als Bengler es an der Schulter berührte. Wieder fühlte er die Begierde aufflammen. Wie alt mochte sie sein? Sechzehn, siebzehn Jahre, kaum mehr. Sie war sehr blaß.

    - Ich werde dich bezahlen, sagte er. Ist er zum Fenster gegangen?

    - Er hat auf der Bettkante gesessen und mit seinen Fingern gespielt.
    - Und weiter?

    - Dann hat er mit seinen Füßen gespielt.
    - Und weiter?

    - Dann hat er sich hingelegt. Er hat mich nicht angesehen.
    - Er sieht die Menschen nur selten an, sagte Bengler. Dafür kommt es vor, daß er mitten durch die Menschen hindurchsieht, die seinen Weg kreuzen.
    Bengler hatte einen Reichstaler hervorgeholt. Das war zuviel. Ohne daß er es eigentlich wollte, zog er einen Schein aus der Tasche.
    - Es gibt noch mehr Geld zu verdienen, sagte er. Wenn du lieb zu mir bist.
    Sie verstand und erhob sich mit einem Ruck. Sie sollte mich schlagen, dachte Bengler. Statt dessen errötete sie.
    - Ich muß gehen, sagte sie. Für das hier muß nichts bezahlt
    werden. Ich hab ja nichts gemacht. Nur hier gesessen.
    Bengler griff nach ihrem Arm. Sie war stocksteif.
    - Ich werde vorsichtig sein, sagte er.

    Da fing sie an zu weinen. Die Scham überrollte Bengler mit aller Macht. Was zur Hölle tue ich hier? fragte er sich. Ich versuche, dieses Mädchen zu kaufen, das nicht einmal weiß, was Liebe ist, nichts anderes kennt als zu bedienen, zu knicksen, gefällig zu sein.

    - Ich habe es nicht böse gemeint, murmelte er. Nimm den Taler.

    Aber das Mädchen lief davon, und er blieb mit der Münze in der Hand stehen. Die Scham wütete in ihm. Er ging zum Fenster und schaute hinunter auf die Straße. Die Studenten gingen mit ihren Frauen davon. Er sah der Frau mit dem Hut nach und dachte, er müßte schnellstens von hier verschwinden. Sein altes Leben gab es nicht mehr. Das war in der Wüste zurückgeblieben. Jetzt hatte er seine Insekten und Daniel.
    Er zog sich aus und setzte sich in den Sessel, in dem das Stubenmädchen vorhin geschlummert hatte. Ohne daß er es wollte, kehrte die Erregung zurück. Matilda war weg, genau wie Benikkolua. Es blieb ihm nur die Frau mit den zusammengepreßten Lippen. Daniel schlief. Er setzte sich an den Schreibtisch. Eine Petroleumlampe brannte mit schwacher Flamme. Er schraubte sie hoch und holte dann »Daniels Buch« hervor. Doch die Worte wollten nicht kommen. Statt dessen zeichnete er etwas, von dem er zunächst nicht wußte, was es war. Danach erkannte er, daß er versucht hatte, wiederzugeben, wie der Wagen und die Ochsen in dem Moment ausgesehen hatten, als das Wagenrad gebrochen und er gezwungen war, derjenige zu sein, der einen Beschluß faßte. Er zeichnete schlecht, das Rad war oval, der Wagen in sich zusammengesackt, die Ochsen glichen Kühen mit eingesunkenen Rücken, und die Ochsentreiber waren nur dünne Striche. Er klappte das Buch zu, löschte die Lampe und kroch neben Daniel ins Bett. Morgen müssen wir hier weg, dachte er. Das Geld, das ich besitze, reicht bis Hovmantorp und dann weiter bis Stockholm. Darüber hinaus kann ich mir nicht vorstellen, was geschehen soll.

    Er drehte den Kopf und betrachtete Daniel, der zusammengerollt mit dem Rücken zu ihm lag. Sein Atem ging sehr ruhig. Bengler drückte vorsichtig zwei Finger gegen seine Halsschlagader und zählte leise mit.
    Einundfünfzig. Daniels Puls schlug ganz gleichmäßig. Doch er befand sich noch nicht im tiefsten Schlaf. Sonst würde der Puls sich zwischen fünfundvierzig und fünfzig bewegen.
    Bengler schloß die Augen. Die Frau, die er vor Augen hatte, preßte ihre Lippen zusammen. Langsam kehrte er in die Wüste zurück. Die Sonne brannte in seinen Träumen.

    Daniel lag hellwach an seiner Seite. Als er sicher war, daß Bengler schlief, stand er auf und schlug vorsichtig das Notizbuch neben der Petroleumlampe auf.

    Auf der Zeichnung war nichts zu erkennen. Sie glich einem unvollständig in eine Felswand geritzten Bild.

    TEIL II

    DIE

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