Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
mit verzogenem Gesicht angewidert ausspuckt. Eine schwere
Hand legt sich ihr urplötzlich auf eine Schulter, dass sie erschreckt aufjappst
und herumfährt. Ihre Augen weiten sich vor Entsetzen, als sie einer
hochgewachsenen, in schwarzes Tuch gewandeten Gestalt direkt vor ihr ansichtig
wird. Mit einem erstickten Schrei taumelt sie zurück gegen den Brunnen und kann
den Blick nicht von der bedrohlichen Erscheinung lösen. Diese ist in einen
schwarzen Wollmantel gehüllt, von dem das Regenwasser in kleinen Bächen herab
rinnt. Die weite Kapuze ist tief ins Gesicht gezogen und lässt dennoch eine
entstellte, abgeschnittene Nase erkennen. Sie erinnert Joan an jene von
Totenschädeln, worauf sie ein eisiger Schauer überläuft. Dann stutzt sie. Ein
verschmitztes Grinsen umspielt den Mund des Fremden und spottet ihrer
Hasenfüßigkeit. Mit einem Male weiß sie, wen sie vor sich hat. Verlegenheit
löst ihren Schrecken ab. Noseless John schiebt sich die Kapuze in den Nacken,
so dass eine Flut roter, langer Locken darunter hervorquillt, und blickt Joan
aus eisblauen Augen vergnügt schmunzelnd an. Offensichtlich macht er sich des
Öfteren einen Scherz daraus, die Leute bis ins Mark zu erschrecken.
    „Der Auftritt ist Euch
gelungen“, äußert sie zerknirscht.
    „Tut mir herzlich leid, falls
ich Euch in Angst und Schrecken versetzt haben sollte, schöne Maid“, erwidert
er mit angenehm weicher Stimme, während er lachend eine Hand auf die Brust legt
und galant das Haupt vor ihr neigt.
    Sie schnieft verächtlich, da sie
ihm nicht ganz Glauben schenken kann. Doch seine offene, höfliche Umgangsart
gefällt ihr. Bis auf seine Entstellung ist er ein überaus gutaussehender Mann.
    „Nein! Es war albern von mir“,
lenkt sie mit einer wegwerfenden Geste ein. „Ihr müsst Noseless John sein.“
    „Ganz recht.“ Er entschlüpft
seinem nassen Mantel und schüttelt ihn kurz von ihr abgewandt aus, so dass das
Wasser nur so umherspritzt. Ein Schwert ist um seine Hüften gegürtet. „Und Ihr
seid ein Spross von Raymond, wie unschwer zu erkennen ist.“
    „Seine Tochter Joan“, erwidert
sie, hat jedoch das Gefühl, ihn damit nicht sonderlich zu überraschen. Nicht
verwunderlich, da es doch keine so große Auswahl mehr bei Raymonds Kindern
gibt.
    Nickend wirft er den Mantel
nachlässig auf den Brunnenrand. „Schön, Euch so wohlauf zu sehen.“ Abgespannt
biegt er das Kreuz ein wenig durch und räkelt sich gähnend. Dann deutet er
grinsend zum wassergefüllten Eimer. „Als Euer Vormund wollte ich Euch
fürsorglich abhalten, davon zu trinken. Das Wasser ist kein Genuss.“
    „Das ist noch milde
ausgedrückt“, bemerkt sie stöhnend.
    Bedauernd hebt er die Arme.
„Offenbar kam ich zu spät. Wenn Ihr durstig seid, haltet Euch besser an das
Wasser aus der Zisterne im Hof. Dieses hier sollte nur jemand ohne
Geschmackssinn zu sich nehmen. Zwar hat es eine heilende Wirkung, taugt jedoch
lediglich zum Waschen und Baden.“ Er stemmt abwägend die Hände in die Hüften.
„Ich merke, Ihr könnt noch nicht lange hier sein.“
    „Ja, in der Tat. Ich traf heute
zusammen mit Malcom und meinem Vater aus Schottland ein. – Ich bin nicht mehr
Euer Mündel, Noseless John.“
    Johns Augen weiten sich
überrascht. „Heiliger Strohsack“, ruft er erfreut und klatscht in die Hände.
„Sie sind am Leben! ... Welch gute Nachricht Ihr mir da überbringt!“ Er lässt
ein erleichtertes Ausatmen vernehmen und blickt verwundert auf Joan hinab. „Ich
hoffe, es geht ihnen ebenso gut, wie Euch?“
    „Ja. Vater ist zwar noch sehr
schwach. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis er wieder gehen kann. ...
Doch kommt. Wir sollten nicht hier im Kalten stehen.“
    „Sagt, wo finde ich Malcom?“ Er
nimmt seinen triefenden Mantel wieder zur Hand, wobei er sie fragend ansieht.
    Joans Augen weiten sich
entsetzt und ihr wird das Gesicht vor Schamesröte heiß. Sein plötzlich
wissendes Grinsen gibt ihr den Rest.
    „Ich habe Euch doch wohl nicht
soeben in eine Verlegenheit gebracht“, fragt er hinterlistig.
    Fassungslos darüber, wie
schnell er dahintergekommen ist, beschleicht sie das ungute Gefühl, Malcom
könne schon vor ihr Frauen in solch heikle Erklärungsnöte gebracht haben.
Ungehalten zieht sie mit verschränkten Armen die Brauen zusammen und starrt
abwesend zur Tür hinaus in die verregnete Nacht. Noseless John scheint auch
dies nicht entgangen zu sein, da er nun beschwichtigend die Hände hebt.
    „Freut mich zu wissen, dass er
sich wieder

Weitere Kostenlose Bücher